Den durch das Statistische Bundesamt veröffentlichten Daten kann man entnehmen, dass sich die Zahl der achtzigjährigen und noch älteren Menschen bis 2050, auf circa 10 Millionen nahezu verdreifachen wird.
Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und gewiss auch vor dem Erfahrungshintergrund des einen oder anderen Lesers dieser Zeilen kommt dem Miteinander der Generationen eine große Bedeutung zu. Wir erleben in unserer Gesellschaft zunehmend eine Vereinzelung und Aufsplitterung in zahllose Interessen, die unter anderem dazu beiträgt, Familienverbände nur noch als äußerst temporäre Erscheinungen zu verstehen. Gegenseitige Hilfe in der Familie wird vielfach kleingeschrieben, Eigenverantwortlichkeit und letztlich das soziale Netz sollen die Defizite auffangen. Nicht nur den für die öffentlichen Haushalte politisch Verantwortlichen, den Versorgungsträgern und Versicherern stellt sich die Frage, wie mit diesem Problem umzugehen ist.
Auch unser Berufsstand ist im Spiel, wenn derzeit von allen Seiten der Ruf nach Barriere freien Wohnungen und öffentlichen Gebäuden als Voraussetzung für ein unabhängiges Leben im Alter zu hören ist. Appellieren an Architekten und Investoren und lauthals Verständnis formulieren für die Belange alter oder benachteiligter Menschen reicht nicht aus.
Das Problem der unzureichenden Barrierefreiheit im privaten Umfeld betrifft heute wesentlich die Baubestände. Im Geschosswohnungsbau sind Neubauten mit Barrieren kaum noch zu vermarkten und werden daher auch in der Regel nicht mehr geplant. Um in den Bestandsgebäuden notwendige Änderungen auf den Weg bringen zu können, müssen wir allerdings noch einige Barrieren in den Köpfen abbauen.
Nach den gängigen Definitionen ist eine Barriere eine Hürde, ein Hindernis, das ein Weiterkommen erschwert oder verhindert. Ich sehe eine gesellschaftspolitische Aufgabe darin, über Beratung und Bauplanung hinaus die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass diese Hindernisse beseitigt werden. Technisch ist das keine große Kunst. Architekten und Handwerker wissen seit Jahren damit umzugehen. Aber es gibt immer noch Dinge, die der Umsetzung von Maßnahmen im Wege stehen.
Das sind:
1. die Egoismus - Barriere: Wir treffen bei Bauvorhaben grundsätzlich immer auf das Prinzip der Kostenoptimierung, sowohl bei Miet- als auch bei Eigentumsobjekten. Eine beispielhafte Aussage dazu aus einer prosperierenden Stadt: „Bei der jetzigen Nachfragesituation am Mietmarkt sind Investitionen im Baubestand nicht notwendig!“ Und auf dem flachen Land heißt es: „Das rechnet sich doch nicht.“
2. Barrieren durch Vorschriften und Normen: Es gilt die „reine Lehre“, die nur alles oder nichts kennt, auch bei den Förderrichtlinien. Hilfreiche Zwischenlösungen und situationsbedingt erforderliche Kompromisse zählen nicht. Mir scheint ein mutiger Sprung über diese Hürde erforderlich zu sein. Denn die DIN-Vorgaben bringen regelmäßig Aufwand mit sich, der dann beim Bauen im Bestand
3. zur Kostenbarriere wird.
4. die Verfahrens - Barriere: Lange und komplexe Entscheidungs- und Genehmigungsprozesse, demokratisch bestens legitimiert und deswegen bequem, weil einzelne Personen in Kommunalpolitik und Verwaltung ohne dreifache Rückendeckung keine Verantwortung übernehmen müssen. Es braucht eine Stärkung und kompetente Besetzung der entsprechenden Baubehörden.
Solange diese Barrieren nicht überwunden sind, bleiben unsere heutigen Bemühungen Stückwerk. Wohl gemeinte Appelle tragen zwar vielleicht dazu bei, Bewusstsein zu schaffen. Messbare Fortschritte und Ergebnisse wird man aber kurzfristig nicht erreichen. Der Erfolg „schleicht sich bestenfalls an“.
Bei der Planung von Barriere freien Wohnungen müssen grundsätzlich keine Unterscheidungen zwischen Nutzern vorgenommen werden, beispielsweise Alten, Behinderten, Kindern, Familien. Im ungünstigen Fall kann mit einer funktionalen Zuweisung sogar eine Stigmatisierung Betroffener verbunden sein. Es geht aber gerade um die Vermeidung von Ausgrenzung. Die Bedürfnisse möglichst aller Menschen müssen angemessen berücksichtigt werden und es ist mit Augenmaß Vorsorge für eine möglichst große Flexibilität im Sinne einer nachhaltigen Nutzung von Immobilien zu treffen.
Aus Kindern werden Jugendliche, aus Jugendlichen Erwachsene und hoffentlich irgendwann einmal Alte. Vor diesem Hintergrund besteht die Aufgabe darin, universelle, qualitätsvolle und verträgliche Gestaltungsgrundsätze zu formulieren, nicht spezielle Planungen für derzeit Alte oder Behinderte. Dabei müssen individuelle und innovative Lösungen in Verantwortung der Eigentümer und Architekten jederzeit möglich sein. Dazu gehört allerdings auch die Erkenntnis, dass altengerechte Lebensbedingungen mehr erfordern als Barrierefreiheit. Materielle Infrastrukturen stellen nur einen Teil des Problems dar.
In den alten Baubeständen muss, um die ehrgeizigen Ziele im Zusammenhang mit der Energiewende zu erreichen, ohnehin kräftig aufgeräumt werden. Packen wir‘s an. Die rheinland-pfälzischen Architekten sind bereit dazu.
Archivbeitrag vom 20. November 2013