09. November 2017

Der Kampf um die HOAI

Kammerpräsident Reker
Foto: Heike Rost, Mainz

Präsident Gerold Reker berichtet im Interview über den Stand des Vertragsverletzungsverfahrens und die Bemühungen der Architektenkammern, die HOAI zu erhalten.

Herr Reker, Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner, kurz: alle Mitglieder der Architektenkammer Rheinland-Pfalz rechnen ihre Honorare seit 1977 auf der Basis der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) ab. Gilt die HOAI überhaupt noch?
Ohne Zweifel gilt die HOAI und verpfl ichtet jeden, der Leistungen erbringt, wie sie in der HOAI beschrieben sind, zwingend unter Beachtung dieser Regelung das Honorar abzurechnen. Die HOAI hat, wenn dieser etwas saloppe Vergleich gestattet ist, den gleichen verbindlichen Rechtsnormcharakter wie die Straßenverkehrsordnung: Niemand käme auf die Idee, trotz gelegentlich fehlender Akzeptanz, diese Regelungen in Frage zu stellen. Die HOAI ist zwingendes nationales, verbindlich einzuhaltendes, geltendes Recht.

Die Europäische Kommission bestreitet die europarechtliche Zulässigkeit der HOAI als verbindliches Recht.
In der Tat hat die Kommission ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. Das Verfahren ändert indessen nichts daran, dass derzeit die HOAI verbindlich gilt. Die Kommission hat am 23. Juni 2017 ihre Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht.

Wie geht die Bundesrepublik Deutschland mit dieser Klage um?
National zuständig für die Abwehr der Klage ist die Bundesregierung, konkret das Bundeswirtschaftsministerium. Das Bundeswirtschaftsministerium hat Anfang September die Klageerwiderung vorgelegt, mit der um Abweisung der Kommissionsklage gebeten wird. Im weiteren Verfahren hat die Kommission hierzu eine Erwiderung übermittelt. Aktuell arbeitet die Bundesregierung an ihrer Reaktion darauf.

Was bedeutet das konkret?
Die Bundesarchitektenkammer (BAK) und damit auch die Länderkammern stehen seit Ankündigung der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens in einem ständigen Diskurs mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Zur Stützung des deutschen Vortrages im Vertragsverletzungsverfahren haben wir gemeinsam mit der Bundesingenieurkammer und weiteren Beteiligten Gutachten erarbeiten lassen, die die Bundesregierung für das Klageverfahren unterstützen sollen. Ein Gutachten befasst sich mit den Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Vertragsverletzungsverfahren, das andere Gutachten mit den empirischen Fragen der Qualitätssicherung von Planerleistungen durch ein gesetzlich geregeltes Preisrecht.

Weshalb wurden derartige Gutachten eingeholt?
Dazu muss man wissen, was die Kommission im Vertragsverletzungsverfahren behauptet: Die Kommission hat beantragt festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen die Dienstleistungsrichtlinie und den europäischen Vertrag verstößt, weil die HOAI ein System von Mindest- und Höchstpreisen für Leistungen von Architekten und Ingenieuren enthält. Dieses System erschwere die Niederlassung von Architekten und Ingenieuren, die mit Angeboten außerhalb des zugelassenen Preisrahmens nicht in den Wettbewerb treten könnten. Sie seien dadurch gehindert, Leistungen gleicher Qualität zu niedrigeren Preisen zu erbringen. Sie seien aber auch gehindert, höchste Qualität zu höheren Preisen zu erbringen. Mit den Gutachten wird der Nachweis geführt, dass die von der Kommission insbesondere angegriffenen verbindlichen Mindestpreise weder den europäischen Dienstleistungsmarkt noch die Niederlassungsfreiheit tangieren. Die Aussage, der Markt werde durch die HOAI nachhaltig negativ beeinflusst, ist eine ins Blaue hinein aufgestellte Behauptung. Die Kommission unternimmt keinerlei Verifizierungen zu der im Vertragsverletzungsverfahren geäußerten Auffassung. Die Gutachten belegen, dass die Kommission von falschen (unbewiesenen) Behauptungen ausgeht. Aus den Gutachten wird überzeugend deutlich, dass die Mindestsätze der HOAI geeignet und erforderlich sind, unter Beachtung der hohen Anforderungen an Planung und Überwachung zur Qualitätssicherung beizutragen und damit ein Bestandteil aktiven Verbraucherschutzes sind.

Sind die planenden Berufe einsame Streiter oder gibt es einen breiten nationalen Konsens zur HOAI?
Bisher konnten wir davon ausgehen, dass neben den berufsständischen Organisationen der planenden Berufe die Bundesregierung und hier insbesondere das Bundeswirtschaftsministerium und auch das Bundesbauministerium mit allem Nachdruck sich für den Erhalt der HOAI einsetzen. Wir hoffen, dass dies auch mit der neuen Bundesregierung so bleibt. Auf unsere Initiative hin, hat sich auch die rheinlandpfälzische Landesregierung klar für den Erhalt der HOAI stark gemacht. Der Bauherrenschutzbund und der Verband privater Bauherren haben die verbraucherschützende Wirkung der HOAI betont. Besonders bemerkenswert ist, dass mittlerweile eine IHK in Hessen eine Resolution zugunsten der Beibehaltung der HOAI verabschiedet hat, also eine Organisation, die eher kaufmännisch-wirtschaftliche Diskussionsfelder besetzt.

Wie geht das Verfahren weiter, und gibt es eine Prognose, wie der EuGH entscheiden könnte?
Eine belastbare Prognose bezüglich der Entscheidung lässt sich nicht treffen. Dazu ist es noch zu früh. Im Laufe des Verfahrens wird der EuGH einen Generalanwalt berufen. Wenn dessen Stellungnahme bekannt ist, kann man im Zweifel eine erste Prognose wagen. Angesichts der uneinheitlichen Rechtsprechung des EuGH zu „festen Preisen“ ist der Ausgang offen.

Wann ist mit der Entscheidung zu rechnen?
Angesichts der üblichen Verfahrensdauer von eineinhalb bis zwei Jahren ist mit einer Entscheidung 2019 zu rechnen.

Herr Reker, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Kerstin Mindermann.

  

Archivbeitrag vom 09.11.2017