02. Juni 2017
„Die Steine stammeln“
Der Architekt, studierte Kunsthistoriker und Archäologe ist Partner im Büro David Chipperfield Architects und mit der Sanierung des Hauses der Kunst in München befasst. Gemeinsam mit dem Dresdner Architekten Peter Weber, der Stadt- und Regionalsoziologin Dr. Julia Binder, dem Präsidenten der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, Gerold Reker, und dem Generaldirektor der Generaldirektion kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Thomas Metz, widmete er sich am 1. Juni 2017 der Frage, wie mit historisch belasteten und belastenden Denkmälern umzugehen sei. Die Moderation des Abends oblag der renommierten Journalistin und Autorin Ira Mazzoni, München.
Eingeladen hatte die Architektenkammer Rheinland-Pfalz. Gut 100 Fachleute aus Architektur und Denkmalpflege sowie zahlreiche interessierte Bürgerinnen und Bürger kamen dazu auf das Hambacher Schloss bei Neustadt. Dass die Frage mehr als 70 Jahre nach Kriegsende noch relevant ist, zeigten die beiden Impulsvorträge. Neben den Überlegungen zur Sanierung des Hauses der Kunst in München wurde der erste Preis des Ideenwettbewerbs um die Gedenkstätte Deportationsrampe in Mainz vorgestellt.
Landrat Hans-Ulrich Ihlenfeld hatte als stellvertretender Vorsitzender der Stiftung Hambacher Schloss die Begrüßung der Gäste übernommen. Er nahm den geübten historischen Regress auf das Hambacher Fest 1832 als Wiege der Demokratie in Deutschland zum Anlass, auch gegenläufige Vereinnahmungen in den Blick zu nehmen:
Nicht verkannt werden darf, dass gerade das Hambacher Schloss immer wieder auch dem Versuch unterliegt, für Zwecke, die wir nicht dem demokratischen Denken zuordnen, missbraucht zu werden. Vor allem politisch weit rechts angesiedelte Gruppierungen versuchen, den Ort für sich zu vereinnahmen.
Während das Schloss selbst allerdings in der NS-Zeit als Ruine unberührt blieb, geben das Weintor in Schweigen und die Deutsche Weinstraße von dieser Zeit Zeugnis. Sie wurden 1935 errichtet.
Gerold Reker, Präsident der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, rief in seiner Einführung über die von Ihlenfeld angeführten Beispiele hinaus eine lange Liste rheinland-pfälzischer Bauten dieser Zeit ins Gedächtnis, die Architekten und Denkmalpfleger immer wieder herausfordern.
Renovate / Innovate
Die zentrale Gesprächsrunde wurde durch zwei Impulsvorträgen eingeleitet: Martin Reichert stellte zunächst die Kontroverse um die Sanierungsüberlegungen zum Haus der Kunst in München vor. Der Bau war 1937 als 'Haus der deutschen Kunst' und Propagandabau eingeweiht worden. Architekt damals war Paul Ludwig Troost.
Die aus einem internationalen Verfahren hervorgegangenen Sanierungsüberlegungen von David Chipperfield Architects haben über die Fachwelt hinaus ebenso wütende Kritik wie enthusiastische Zustimmung hervorgerufen. Das Haus hatte den zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschädigt überstanden, die Einbauten der Nachkriegsmoderne waren schon in den 2000er Jahren weitgehend entfernt worden, so dass sich der Bau auch aufgrund guten Bauunterhalts durch hohe Integrität auszeichnet.
In der dennoch anstehenden Grundsanierung hatten sich David Chipperfield Architects dafür entschieden, diese Authentizität und Integrität des Denkmals zu achten. Sie wollten von einer mutwilligen Störung oder von interpretatorischen Eingriffen absehen. "Das Unbequeme zu bewahren, ist unsere Pflicht", so die These.
Unter dem Schlagwort "Renovate / Innovate" sieht ihr Konzept vor, dem Haus vorsichtige Sicherung und der Institution aber eine durchgreifende Erneuerung angedeihen zu lassen. Diese im Umgang mit Denkmälern klassische Zurückhaltung der Gegenwart vor der Vergangenheit war allerdings dann rasch Gegenstand engagierter Debatten.
Vom Unort zum Gedenkort
Peter Weber von A.S.W Atelier . Schmelzer . Weber, Dresden, hat vor wenigen Wochen gemeinsam mit Prof. Andreas Theurer, Kleinmachnow, den Ideenwettbewerb um den Gedenkort 'Deportationsrampe' in Mainz gewonnen. Er stellte sein Konzept für einen Gedenkort vor, der bereits beinahe verloren war.
Auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Mainz entstehen inzwischen neue Wohn- und Gewerbebauten. Der eigentliche Deportationsort Mainzer Juden und anderer Verfolgter ist nicht mehr lokalisierbar. Die gesicherten Artefakte - Schienen, Mauerreste - könnten ebenso von der Rampe selbst wie von Nachbargleisen stammen. Man konnte nur diese letzten Relikte vor der Zerstörung bewahren.
In unmittelbarer Nachbarschaft zum alten jüdischen Friedhof, an einer viel befahrenen Durchgangsstraße zwischen Gewerbe, Bahnunterführung und einer disparaten Wohnbebauung samt Kiosk und Moschee soll auf der Rückseite des ehemaligen Bahnhofsgeländes nun der Gedenkort entstehen.
Dieser Aufgabe hatte sich das Atelier Schmelzer Weber mit dem Vorschlag angenommen, den Gedenkort zur Straße und zum Gehweg hin zu öffnen. Im Bodenbelag verweisen die Gleisrelikte und die ins Endlose gedehnten Schatten der Verschleppten auf das Verbrechen, während sich an sonnigen Tagen die Schatten der Besucher mit denen der Opfer verschränken sollen.
Das Unbequeme zu bewahren, ist unsere Pflicht
„Wenn die Menschen schweigen, schreien die Steine“
- so leitete Ira Mazzoni die anschließende Gesprächsrunde ein. Wie der richtige Umgang mit dem Erinnern zu begründen wäre, fragte Mazzoni Dr. Julia Binder. Die Stadtsoziologin von der TU Cottbus war eben aus Nürnberg zurückgekehrt. Sie hatte sich dort gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern mit dem Reichsparteitagsgelände als Erinnerungsort beschäftigt. Ihr Votum: Nicht das Purifizieren, das Zurückverfolgen auf eine Zeitschicht, werde dem Erinnern gerecht, sondern die Wahrung der Materialität vieler sich überlagernder Zeitschichten. Mit Blick auf den Impuls zum Haus der Kunst war ihr Votum, ein solches Haus brauche dringend den interpretierenden Eingriff unserer Zeit.
Dem widersprach Thomas Metz, selbst Architekt. Für den obersten Denkmalpfleger in Rheinland-Pfalz standen Integrität und Authentizität des Baudenkmals im Vordergrund. Eine historische Einordnung sei über einen interpretierenden Gestaltungseingriff nicht leistbar, dies überfordere die Bauten. Vermittlung geschehe primär durch das Wort, durch Dokumente und Debatten. Kommentierungen leisteten allenfalls die Mittel der Kunst - wie im Haus der Kunst vielfach erprobt - nicht die der Architektur.
Dem Zweifel an der Eindeutigkeit des Baulichen stimmte Martin Reichert zu. Auf den Troostbau bezogen, berichtete er vom Einschüchternden der schieren Baumasse. Irritierend sei jedoch die Gleichzeitigkeit des als Ausstellungsort von Künstlern und Museumsleuten geschätzten Hauses. Man gestehe sich diese Qualitäten angesichts der historischen Belastung nur sehr widerstrebend ein.
Den emotionalen Einfluss der Materialität von Nazibauten erlebte auch Kammerpräsident Gerold Reker bereits als Schüler. Er berichtete von Klassenfahrten und dem Bedrückenden, das sich ihm dort ganz hautnah vermittelte. Das genaue Gegenteil hatten die herausragenden Zeugnisse der Nachkriegsarchitektur, beispielsweise von Sep Ruf, ausgelöst. Offenheit, Leichtigkeit und Transparenz waren hier die Signale einer neuen, demokratischen Gesellschaftsordnung. Die Abkehr vom Monumentalen war politisches Signal.
Brauchen toxische Denkmäler eine Dekontamination?
Ob die klassischen Methoden der Denkmalpflege hinreichten, wenn es um die Zeugnisse der Nazizeit ging, fragte abschließend Ira Mazzoni. Beinahe einig war sich die Runde am Ende, dass die Materialität des Erinnerungsortes nicht zu ersetzen sei. Wie klar oder interpretationsbedürftig jedoch die Sprache der Steine und Orte sein könne, darüber gingen die Ansichten auseinander.
Dr. Wolfgang Bachmann, Journalist und Autor, meldete sich aus dem Publikum zu Wort: Bauten wie das Haus der Kunst müsse man aushalten, nicht kindisch daran herum bauen. Der Versuch, gestalterisch damit 'fertig' zu werden, müsse scheitern. Die Banalisierung des Monumentalen sei jedenfalls der falsche Weg. Und er zitiert Hanns Dieter Hüsch mit dem Wort "die Nazis kommen aus der Küche". Das Böse sei nicht heroisch, sondern banal, eine Banalisierung also kein Mittel gegen das Böse.
Auch Architekt Peter Weber stimmte dem zu. Es brauche weiterhin die authentischen Orte. Gerade mit Blick auf eine nachwachsende Generation, für die Erinnerung längst Geschichte geworden sein. Die Spannung der baulichen Zeugnisse müsse man aushalten.
Die Hambacher Architekturgespräche
Die Hambacher Architekturgespräche laden seit 2014 jährlich im Frühsommer auf das Hambacher Schloss nach Neustadt zu einer prominent besetzten Diskussionsrunde und zur Debatte über Grundlegendes ein. Sie führen an der Nahtstelle zwischen Architektur und baukulturellem Erbe Theorie und Praxis von Denkmalpflege und zeitgenössischem Bauen zusammen. Zu den Hambacher Architekturgesprächen lädt die Architektenkammer Rheinland-Pfalz in Kooperation mit der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz ein. Wir danken dem Ministerium für Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Rheinland-Pfalz sowie der Stiftung Hambacher Schloss für ihre Unterstützung.
Archivbeitrag vom 2. Juni 2017