Guten Morgen Frau Klingel. Wie würde ich Sie auf Russisch begrüßen?
Dóbry djen...Ich hoffe, das hieß jetzt auch „Guten Tag“ und nicht „Guten Abend“. Es ist schon wieder alles so lange her.
Sprechen Sie russisch?
Ein paar Wörter habe ich mir beigebracht: Guten Morgen, Guten Tag, Guten Abend, die Zahlen, wie bestellt man ein Taxi, die Speisekarte,... Dinge, die man im Alltag braucht. Sie haben als deutsche Architektin in Russland gearbeitet.
Wie haben Sie sich verständigt?
Die Baustellensprache für meinen Bereich war vorwiegend Deutsch, dazu kam Englisch. Das hat gut funktioniert. Die Baufirmen hatten zwar russische oder türkische Mitarbeiter beziehungsweise Subunternehmer, doch die Bauleiter waren Deutsche oder sprachen Englisch. Und wenn nicht, dann gab es immer einen netten Kollegen, der übersetzt hat.
Was haben Sie in Russland gebaut?
Ich war im Einsatz am Bau des VW-Werkes in Kaluga. Ich habe dort in der Projektsteuerung mitgearbeitet, mein Aufgabengebiet umfasste einen Teil der Schnittstellenkoordination.
Wie haben Sie einen solchen Auftrag bekommen?
Ich war im Auftrag der IG-Möckel dort. Eine Tochtergesellschaft der damaligen Dekra Real Estate -Saarbrücken, heute Dekra Industrial, die unter anderem Ingenieure im Bereich Projektmanagement, Projektsteuerung und Fachbauleitung auch in freier Tätigkeit beschäftigt. Also mit freien Ingenieuren projektbezogen zusammenarbeitet. Die Tätigkeit der Dekra müssen Sie mir näher erklären! Es ist durchaus üblich, dass Bauherren wie VW und andere große Unternehmen, die Großbaustellen im In- und Ausland einrichten, dies nicht ausschließlich mit ihren eigenen Mitarbeitern abdecken, sondern sich für Bauleitung, Projektsteuerung und so weiter Ingenieure baustellenbezogen „dazukaufen“. Um diese Aufträge bewirbt sich dann die Dekra.
Bieten dies noch andere Unternehmen an?
Ja, zum Beispiel Thost oder Assmann. Diese arbeiten aber, soweit mir bekannt, mehr mit einem Ingenieurpool von fest angestellten Mitarbeitern, welche auf verschiedenen Baustellen eingesetzt werden.
Sind das immer Baustellen im Ausland?
Nein, sowohl im In- als auch im Ausland. Haben Sie vorher schon einmal für die Dekra gearbeitet? Nein, dies war das erste Projekt.
Wie lange waren Sie in Russland?
Sieben Monate. Von September 2008 bis März 2009, über die Winterzeit.
Eine bleibende Erinnerung?
Eine bleibende Erinnerung, auf jeden Fall.
Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Zum einen sicherlich die Großbaustelle, zum anderen das Land selbst - das wenige, was man mitbekommen hat, denn auf so einer Baustelle hat man doch einen relativ geringen Freizeitanteil. Das einfache Leben, das die Russen führen - wenn man von der Oberschicht einmal absieht - durch diese Einfachheit findet man ein Stück weit zu sich selbst, das nimmt man im Laufe der Monate doch an.
Wollen Sie nach dieser ersten Erfahrung wieder ins Ausland?
Auf jeden Fall!
Sie sagen das wie aus der Pistole geschossen und sehr begeistert. Warum?
Es ist zum einen sicherlich sehr anstrengend, es ist zum anderen aber eine sehr konzentrierte Arbeit. Die ganze Ablenkung, die man hier im eigenen Büro hat, ob das die Verwaltung ist oder Anrufe außerhalb des Tätigkeitsfeldes und so weiter, entfällt. Dort ist das anders organisiert. Und dann gibt es auf so einer abgelegenen Baustelle eine ganz andere Teamarbeit, weil doch jeder auf sich gestellt ist und die Hilfe der anderen benötigt. Das schweißt mehr zusammen, als wenn in Deutschland jeder in seinem Büro arbeitet. Ich habe das als eine sehr schöne und kollegiale Zusammenarbeit empfunden, im ganzen Team. - Und ich erkunde gerne fremde Länder. Das, was man dort mitbekommt, ist wirklich das Land: Man hat seine eigene Wohnung, man geht in die Geschäfte einkaufen, man lebt dort wirklich. Das ist eine andere Erfahrung, als wenn man den Urlaub dort verbringt. Man ist in dem Moment in dem Land auch zu Hause.
Ist so eine Tätigkeit auch wirtschaftlich interessant?
Ja, das würde ich auf jeden Fall sagen. Sicherlich, man hat hohe Nebenkosten, man hat hohe Mieten. In so einem Ort wird sehr schnell erkannt, dass für solche Projekte viele Wohnungen angemietet werden. Die Preise steigen dann ganz schnell immens.
Werden die Wohnungen von VW oder Dekra gestellt oder muss sich jeder Mitarbeiter selber darum kümmern?
Nein, das mussten wir selbst organisieren. Sie bekommen eine Pauschale, was Sie mit der machen, ist Ihre eigene Sache. Man muss zusehen, woher man eine Wohnung bekommt, ebenso wie den Taxifahrer, der einen morgens zur Baustelle fährt.
Wird zur Zeit, also nach der Wirtschaftskrise, in Russland noch immer so viel gebaut? Können Sie das von Deutschland aus einschätzen?
Ich kann es nicht zu 100 Prozent einschätzen, aber ich habe schon das Gefühl, dass dort schon noch viel weiter gebaut wird. Was aus wirtschaftlicher Sicht ja auch sinnvoll ist. Dann ist man nach der Krise zum Start bereit. Damit beziehe ich mich allerdings auf ausländische Investoren. Russland selbst hat schon große Not erlitten.
Haben Sie schon Folgeaufträge von der Dekra erhalten?
Nicht in dem Bereich eines Auslandeinsatzes. Also keinen direkten Folgeauftrag, aber es wird sicher zum Folgeauftrag kommen - so hoffe ich zumindest. Es ist gut gelaufen und so ist langfristig sicherlich wieder etwas Passendes dabei. Es gab auch schon eine Anfrage, aber da ich zurzeit in Deutschland einen Auftrag bearbeite, der noch einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt, ging das von mir aus nicht. Man darf ja dabei auch das Büro in Deutschland nicht vergessen.
Wie organisieren Sie in Ihrem Büro die Abwesenheit? Haben Sie Angestellte?
Nein, ich arbeite mit Freischaffenden zusammen. Das heißt, wenn größere Aufträge da sind, schließt man sich zusammen. Ein Büro mit Angestellten auf Sparflamme weiterlaufen zu lassen, das sehe ich auf Dauer als problematisch an. Außer vielleicht man hat einen sehr, sehr langen, vertrauten Mitarbeiter, dem man dann alles überlassen kann.