17. November 2010

Gentofte ... vom Umgang mit Perlen!

Vizepräsident Ernst Wolfgang Eichler spricht Klartext.

Kürzlich war ich tanken; im Grunde nichts Besonderes, wäre da nicht dieses architektonische Kleinod von Tankstelle gewesen, 1936 im Auftrag von Texaco gebaut, seither gepflegt und unterhalten, und 2003 einmal neu restauriert. Voller Respekt vor der architektonischen Leistung des Entwerfers und seines Lebenswerks kommt niemand auf die Idee, ihr Leid anzutun. Der Tankwart dübelt keinen Zigarettenautomaten an die Fassade, Texaco verzichtet auf die sonst übliche schreiende Werbung, wohlwissend dass man seltene Perlen pflegen muss, damit sie Ihren Glanz nicht verlieren. Wer das sehen will, muss nach Gentofte fahren, wo man weiß, welche Bedeutung Architektur für die Gesellschaft und die Anmutung von Städten hat, wie sie auch etwas erzählt über die Geschichte der Stadt, den Feinsinn ihrer Bewohner und deren Vertreter.

Unzähligen Projekten des gleichen Architekten, genannt nur das SAS-Hochhaus und die dänische Nationalbank in Kopenhagen oder die Munkegaard-Grundschule, ist gemein, dass sie sich trotz Jahrzehnte langer Benutzung durch liebe- und respektvollen Umgang dem Betrachter immer noch so präsentieren, wie das zur Zeit ihrer Entstehung geplant war. Von Kindesbeinen an werden Dänemarks Bürger herangeführt an die jeweiligen Besonderheiten der Gebäude, und sie sind stolz darauf, darin lernen, leben und arbeiten zu dürfen.

In dem Vorschlag einiger Stadträte, das von Arne Jacobsen für Mainz entworfene Rathaus abzureißen, weil Neubau billiger sei als Sanierung, offenbart sich eine entsetzliche Verrohung im Umgang mit wertvollem Kulturgut. Statt das Rathaus kaputt zu reden, sollte man besser Lust darauf machen. Nicht auszudenken, dass die Mainzer dereinst in die Geschichte eingehen, weil sie Ihre Perle nicht pflegten, sondern ... fraßen.

Vizepräsident Ernst Wolfgang Eichler, Alzey

 

Archivbeitrag vom 17. November 2010