Frau Nallanathan, Sie haben in Mainz Architektur studiert und sind anschließend zum Arbeiten nach London gegangen. Warum London und nicht Mainz, Frankfurt, Berlin oder München?
Zum einen wegen der Arbeitsmarktlage in Deutschland. Von den Diplomanden, die vor mir ihren Abschluss gemacht haben, wusste ich, dass viele als Praktikanten für 600 Euro im Monat arbeiteten oder Teilzeit. Die meisten waren nicht glücklich mit ihrem Job. Zum anderen wollte ich einen Neuanfang, und da ich während meines Studiums nie ins Ausland gegangen bin, wollte ich das nach dem Abschluss nachholen. London habe ich mir wegen der Sprache ausgesucht und weil ich hier Verwandte habe.
Sie haben sich gar nicht erst in Deutschland beworben?
Nein. Ich hätte in dem Büro bleiben können, in dem ich schon während meines Studiums gearbeitet habe. Nach dem Diplom wollte ich aber mal etwas anderes kennen lernen. Außerdem passiert es schnell, dass man, wenn man als Student in einem Büro angefangen hat, dort auch ewig der Student bleibt.
Sind Sie zufrieden mit Ihrer Entscheidung?
Ja, auf jeden Fall!
War es schwer als Architektin einen Job in London zu bekommen?
Nein, ich habe nur zehn Bewerbungen geschrieben. Ich habe im Januar mein Diplom gemacht und danach direkt meine Bewerbungen rausgeschickt. Im Februar hatte ich schon mein Vorstellungsgespräch und Ende März habe ich hier angefangen.
Haben Sie sich auf Stellenanzeigen beworben oder Initiativbewerbungen geschrieben?
Ich habe auf der Internetseite des RIBA, also des Royal Institut of British Architects, nachgesehen. Dort gibt es unter anderem Stellenangebote und auf die habe ich mich beworben.
Was sollte man beachten, wenn man sich in England bewirbt, können Sie ein paar Tipps geben?
Ich habe ein klassisches Anschreiben gemacht, mit Lebenslauf und ein paar Arbeitsproben auf CD. Die Unterlagen müssen natürlich alle auf Englisch sein; alle Dokumente müssen übersetzt werden. Das habe ich aber selber gemacht. Da ich Berufserfahrung hatte, habe ich auch einige Projekte aus dem Büro gezeigt. Außerdem habe ich viele baukonstruktive Zeichnungen in die Bewerbungsmappe gelegt: Die Deutschen haben hier in London den Ruf, sehr gut im Detaillieren und in der technischen Ausarbeitung zu sein.
Ist die technische Ausbildung in Deutschland tatsächlich besser?
Auf jeden Fall. Die Unis hier sind sehr entwurfslastig. Die meisten Architekten in England lernen das Detaillieren und die technische Ausarbeitung erst im Büro.
Das heißt, dieser technische Aspekt der deutschen Ausbildung ist ein Pluspunkt für deutsche Bewerber in England?
Ja, ganz sicher.
Das Studium hat Sie also gut vorbereitet auf Ihre jetzige Tätigkeit?
Die Kombination aus Studieren und Arbeiten war es. Ich habe das Praxisintegrierte Studium in Mainz gemacht, das heißt, man arbeitet drei Tage pro Woche in einem Büro und an zwei Tagen studiert man. Hätte ich nur studiert, dann hätte ich wohl nicht das Selbstbewusstsein gehabt, mich hier zu bewerben.
Und hätte Ihr Büro Sie auch ohne praktische Erfahrung eingestellt?
Das kann ich so nicht beantworten. Ich glaube eher nicht. Ich würde jedem raten, während des Studiums in einem Büro zu arbeiten.
Wie ist der Arbeitsmarkt in London zur Zeit? Werden noch immer Architekten gesucht?
Oh ja, sehr viele. Ich kann nur jedem empfehlen, sich nicht auf Deutschland zu versteifen und sich ein bisschen weiter umzugucken.
Muss man fließend Englisch sprechen, um in England zu arbeiten?
Nein, eine Freundin von mir ist jetzt auch in London und ihr Englisch war am Anfang nicht besonders gut. Aber man lernt das schnell, darum ist es, glaube ich, auch kein k.o.-Kriterium bei der Bewerbung. Es werden hier sehr viele Leute gesucht und Deutsche werden gerne genommen, weil sie den Ruf haben akkurat, effizient und genau zu sein.
Was verdient man als Berufseinsteiger in London?
So zwischen 24.000 und 26.000 Pfund im Jahr. Das sind etwa 38.000 Euro im Jahr oder etwa 3000 Euro im Monat.
Und davon kann man im teuren London leben?
Ja, das geht schon. Die Mieten sind hier wirklich extrem teuer, aber das geht schon.
Sie haben ja auch in Deutschland schon gearbeitet - unterscheidet sich die Arbeitsweise in beiden Ländern?
In Deutschland ist alles ein bisschen bürokratischer als hier.Am Anfang habe ich oft gefragt: Kann man das wirklich so einfach machen? Und in Deutschland hat der Architekt viel mehr Verantwortung. Hier gibt es immer ein Entwurfsteam, das von Anfang an zusammen arbeitet. Dieses Team besteht aus Architekten, Statikern, Haustechniker, einem Projekt Manager, der die Terminplanung übernimmt und einem Quantity Surveyor. Das ist ein Beruf, den es in Deutschland gar nicht gibt. Der Quantity Surveyor überwacht die gesamten Kosten, macht die Flächenberechnung, die Ausschreibung und prüft die Rechnungen der Firmen.
Das heißt, die Arbeit des Architekten beschränkt sich auf den Entwurf?
Ja, und er koordiniert das Team.
Was ist ihre Tätigkeit im Büro?
Ich assistiere dem Architekten. Als ich angefangen habe, habe ich viel an Wettbewerbsentwürfen mit gearbeitet, mittlerweile habe ich auch ein eigenes kleines Projekt. Zusätzlich arbeite ich noch an einem großen Projekt mit.
Muss man in England auch erst zwei Jahre arbeiten, bevor man anerkannter Architekt ist?
In England ist die Ausbildung etwas anders aufgebaut. EU-Bürger können sich aber entsprechend den Bedingungen in ihrem Heimatland registrieren lassen. Wenn ich also zwei Jahre gearbeitet habe, kann ich mich beim ARB, dem Architects Registration Board, registrieren lassen. Der ARB ist in England das, was die Architektenkammern in Deutschland sind.
Wie wichtig sind Computerkenntnisse bei einer Bewerbung?
Mit mindestens einem CAD-Programm sollte man schon vertraut sein, dann kann man auch leicht ein weiteres lernen. Größtenteils arbeiten die Büros hier mit MicroStation oder AutoCAD, Nemetschek ist kaum verbreitet. Ich war in Deutschland aber auch Nemetschek-Nutzerin. Das Büro hat mich dann gleich zu einem MicroStation-Kurs geschickt und den auch bezahlt. Diese Kurse kosten um die 500 Pfund, die Büros investieren das Geld aber. Darum sollte man sich auch nicht entmutigen lassen, wenn man mit dem CAD-Programm, das das Büro verlangt, noch nicht gearbeitet hat.
Gab es bürokratische Hürden, nachdem Sie die Zusage vom Büro hatten?
Gar keine. Da ich EU-Bürgerin bin, kann ich hier unbegrenzt arbeiten. Ich musste mich nur bei der Sozialversicherung anmelden. Das ist ganz einfach: Man geht zum Benefits Agency Office und lässt sich dort registrieren. Was man sonst noch beachten muss, erfährt man dort.
Das hört sich alles sehr einfach an.
Das ist es auch. Man stellt sich das nur vorher immer schwierig vor. Ich glaube, man muss sich nur selbst in den Hintern treten und dann klappt es auch. Ich hatte aber auch Glück, weil ich hier Verwandte habe und auch alte Freunde aus Deutschland hier sind. Wenn man in London niemanden kennt, kann die Stadt sicher sehr einsam sein. Wir haben aber auch eine gute Gemeinschaft im Büro, ich habe tolle Kollegen und wir unternehmen auch privat einiges zusammen.
Vielleicht noch ein Tipp für deutsche Absolventen, die noch unentschlossen sind?
Sich einfach trauen und die Chance nutzen. Einfach eine Bewerbung schicken und auch nicht den Mut verlieren, wenn gar keine Antwort kommt. Es ist hier leider oft so, dass Büros noch nicht einmal eine Absage schicken.
Wenn Sie noch einmal vor der Wahl stünden: Würden Sie wieder nach England gehen?
Ja, ich bin froh, dass ich das gemacht habe und nicht gewartet habe, bis mir jemand in Deutschland einen Job anbietet.
RIBA - Royal Institut of British Architects: MEHR
ARB - Architects Registration Board: MEHR
Homepage der Deutschen Community in London: MEHR
Architect´s council of Europe - Europäischer Architektenverband: MEHR
Informationen zu Arbeit, Stellensuche und Sozialversicherungen: Europaservice der Agentur für Arbeit: MEHR, Arbeitsamt Bremen Tel. 0421-178-0
Informationen zur Rentenversicherung: Deutsche Rentenversicherung: MEHR, Tel. 030-865-0)