21. Oktober 2011

Mehr Dimensionen - Mehr Stadt: Der 9. Architektentag

„Mehr Dimensionen: Entwicklungsmotoren der Stadt“, unter diesem Motto stand der zweite Themenblock des rheinland-pfälzischen Architektentages im Sommer 2011 auf der BUGA in Koblenz. Drei Redner gingen der Frage nach, welchen Einfluss die Faktoren Stadtgeschichte und Kreativwirtschaft auf die Entwicklung einer Stadt haben und wie eine gelungene Stadtplanung aussehen kann.

Historische Wurzeln und zeitgenössische Stadtentwicklung

Professor Dr. Hans-Georg Lippert, Dekan der TU Dresden und dortiger Professor für Baugeschichte, erläuterte seine These, nach der Transformationsprozesse und zeitgenössische Stadtentwicklungen dann gelingen, wenn sie den Habitus der jeweiligen Stadt berücksichtigen. Geprägt werde dieser entscheidend durch die Geschichte: Ob ehemalige Residenz- oder Arbeiter- und Industriestadt, die Vergangenheit spiegele sich in Maßstäblichkeit und verwendeten Materialien wider.

Zunächst blickte Professor Dr. Lippert nach China. 2004 initiierte die Metropole Shanghai ein Entwicklungsprogramm mit dem Ziele neun Trabenatenstädte nach europäischen Vorbildern zu bauen. Die „deutsche Stadt“ plante das Büro Albert Speer & Partner nach hiesigen Vorbildern. Um einen „historischen“ Kern mit Fachwerkhäusern und einem Marktplatz gruppieren sich „Stadterweiterungen“ in zeitgenössischer Architektursprache. Problematisch sei hierbei, dass es in China öffentlichen Raum im europäischen Sinne nicht gebe. Die „italienische Stadt“ gehe einen anderen Weg. Sie greife historische chinesische Wurzeln auf und übersetze diese in zeitgenössische italienische Architektur.

Der Frage, wie sich in existierende Städte zeitgenössische Architektur implementieren lässt, ging Professor Lippert anhand von europäischen Beispielen nach. In Dresden, als ehemaliger Residenzstadt, sei nach der Zerstörung im zweiten Weltkrieg die Prager Straße im Stil sozialistischer Architektur wieder aufgebaut worden. Der Straßenraum mit vielen Geschäften werde trotzdem, auch heute noch, von den Bürgern gut angenommen, da er den ursprünglichen Boulevardcharakter beibehalten habe.

Auch Shopping-Mall-Betreiber machten sich diesen Effekt zu nutze. Beispiele, in denen sich Einkaufszentren hinter „historischen“ Kulissen einnisten, gebe es einige. In alten Residenzstädten zögen sie in wieder aufgebaute Schlösser, die bekanntesten Beipiele hierfür seien Braunschweig oder die Planungen für Berlin. In der Montanstadt Saarbrücken hingegen sei eine Mall in der ehemaligen Bergwerksdirektion zu finden. Kritisch werde es, wenn sich Städte schwer damit täten, selbst ihren Habitus zu definieren. Damit erleichterten sie es Großinvestoren, auf ihre Weise eine Identität zu schaffen.

Stadt als Mall

Wie eine Shopping-Mall stadtverträglich integriert werden kann, zeigte der Oberbürgermeister von Fürth, Dr. Thomas Jung. Trotz hoher Kaufkraft vor Ort litt die Stadt unter einem steten Schwund an Einkaufsmöglichkeiten. Der Grund hierfür sei die gute U-Bahn-Anbindung an die Stadt Nürnberg mit ihrer großen Zahl von Geschäften. Entsprechend begeistert sei der Fürther Stadtrat zunächst vom Vorhaben eines Investors gewesen, eine Einkaufsmall in ihrer Stadt zu bauen.

In der Bürgerschaft hätten sich jedoch schnell Proteste formiert. Kritistiert worden seien die geplante Größe von 25.000 Quadratmetern Verkaufsfläche (bei nur 30.000 Quadratmeter existierender Einzelhandelsfläche), die Überbauung einer öffentlichen Straße (am Abend wäre die Verbindung geschlossen gewesen) sowie der Abriss von sechs teils denkmalgeschützten Gebäuden. Das Vorhaben scheiterte: Einer der Grundstücksbesitzer war nicht bereit, sein Eigentum zu verkaufen.

Nach wie vor habe der Fürther Stadtrat die Ansiedlung einer Shopping-Mall befürwortet, jedoch auch die Einwände der Bürger ernst genommen. So sei der Stadtrat selbst aktiv geworden und habe einen eigenen Kriterienkatalog erstellt, in dem auch die Bedenken berücksichtigt waren. Auf dieser Grundlage wurde ein Dialogverfahren mit mehreren Investoren initiiert, in dem in intensiven Gesprächen gemeinsame Lösungsmöglichkeiten untersucht wurden.

„Das Verfahren hat sich bewährt“, so Dr. Jung. Umgesetzt werde nun eine Shopping-Mall, die eigentlich gar keine mehr ist: Die Eingänge zu den Läden befinden sich nicht im Inneren des Gebäudes, sondern an den Straßenfronten, zudem habe der Investor einer maximalen Verkaufsfläche von 15.000 Quadratmeter zugestimmt. Sogar auf die Tiefgarage unter dem Gebäude wird verzichtet. So beleben die Bürger auf ihrem Weg zwischen vorhandenem Parkhaus und Einkaufszentrum die Stadt und passieren auch andere Geschäfte. Die Strategie vieler Mall-Betreiber, die Konsumenten von der Tiefgarage direkt in die Mall zu führen, ihnen dort ein auf die durchschnittliche Shoppingdauer abgestimmtes Angebot an Geschäften anzubieten, um sie möglichst lange im Gebäude zu halten, werde damit durchbrochen.

Für den Fürther Oberbürgermeister war es ein Glücksfall, so sein Fazit, dass eine kritische Bürgerschaft und ein einzelner Hauseigentümer den ursprünglichen Plan vereitelten. Die nun gefundene Lösung verspreche einen Gewinn für die Stadt. Sie soll in Fürth Vorbild für weitere Verfahren werden.

Kultur als Entwicklungsmotor?

Am Ende des Themenblocks hinterfragte Professor Kai Vöckler von der HfG in Offenbach die Bedeutung der Kreativwirtschaft für die Stadtentwicklung. Jede deutsche Stadt bemühe sich derzeit „Kreative“ anzulocken, das Merkmal „kreativ“ schaffe Pluspunkte im Stadtranking. Doch, so stellte Vöckler weiter fest, sei noch längst nicht ausgemacht, ob diese „Kreativwirtschaft“ - nach der Definition des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Richard Florida verstanden als Dienstleister mit Hochschulabschluss - wirklich neue Perspektiven für die Städte böten oder ob dies nur Marketingzauber sei. Jedenfalls führe der Zuzug dieser so genannten Kreativen zu einer Neubewertung von Stadträumen mit der Folge der Gentrifizierung. Sofern man sich positive Entwicklungseffekte erhofft, bleibt die Frage nach der Planbarkeit solcher Entwicklungen und den dafür geeigneten Instrumenten. Hier setzt seine Forschung aktuell an. Professor Vöckler analysiert derzeit mit Studenten das direkte Umfeld der Hochschule in Offenbach, mit seinem Ausländeranteil von 33 Prozent und ebenfalls überproportional vielen Kreativen.

    

Archivbeitrag vom 21. Oktober 2011