Nach der Kür des Siegerentwurfs habe eine lebhafte Debatte begonnen" am Sonntag besuchen Hunderte die Präsentation - und lernen, dass auch Toiletten wichtig sind... seit Freitagabend ist der siegreiche Entwurf bekannt, und schon wird in der Stadt und in den sozialen Medien heftig gestritten... Ein richtiger Streit um Architektur - das ist großartig in dieser Stadt, in der es beim Bauen sonst nur um Gewinn- und Flächenmaximierung geht, sagt ein Mitglied des Preisgerichts...". Nein, hier geht es nicht um die Erweiterung des Gutenberg-Museums in Mainz. Die zitierte Passage bezieht sich auf das neue Konzerthaus in München und war am 30. Oktober in der SZ zu lesen. Verblüffend ist aber die Parallelität der Ereignisse.
In Mainz ging es so: Erst die Präsentation des Wettbewerbsergebnisses für die Erweiterung und Umgestaltung des Gutenberg-Museums hat ein öffentliches Echo gefunden. Nicht die Sorge um die Zukunft des Museums hat eine Bürgerinitiative mobilisiert. Nein, es war die Angst um ihre vertraute Umgebung, den angestammten Platz zum regelmäßigen Marktfrühstück "im Schatten des Doms". Der andere bürgerschaftliche Impuls, die Benefizveranstaltung Mainzer Kabarettisten mit dem Ziel, die Sanierung endlich anzustoßen, hatte den Wettbewerb erst ermöglicht und war längst vergessen.
Es war den Verantwortlichen der Stadt Mainz und der Leiterin des Gutenbergmuseums, Dr. Annette Karin Ludwig, gelungen in einer Konzeptstudie zur Zukunft des Weltmuseums der Druckkunst auf die dringend notwendige Erweiterung hinzuweisen. "Museum der Zukunft bedeutet: Aus einem Haus der stummen Bücher wird ein Haus lebendiger Geschichten! Zentrum und Ausgangspunkt aller Entdeckerwege durch das Museum wird ein Schatzkammer-Bereich mit den Gutenberg-Bibeln sein." Diese Aufgabenstellung mit dementsprechenden Raumprogramm war die Grundlage für einen Architektenwettbewerb. Der erste Preisträger, DFZ-Architekten aus Hamburg, ist dieser Herausforderung gefolgt und hat eine Lösung für den Ort mit den Anforderungen an zwei Bauabschnitte präsentiert. Das würdigte auch die Jury: "Die Stärke des Projekts liegt im ersten Bauabschnitt mit dem Versprechen eines attraktiven zeichenhaften Solitärs des Bücher- (Bibel-)turms... Da die Maßnahme im ersten Bauabschnitt sehr kleinmaßstäblich gegeben ist, kann der Turm im Budget bleiben und trotzdem ein markantes Zeichen setzen."
Und genau dieses markante Zeichen mit seiner Außenhaut aus metallischen Lettern, korrespondierend mit der bahnbrechenden Erfindung der Druckkunst durch Johannes Gutenberg als Sohn der Stadt Mainz, ist vielen Mainzern eine Provokation. "Gefällt mir nicht" oder auch "gefällt den Mainzern nicht" lauten gängige Aussagen, die man angesichts der Komplexität der Aufgabe und der nötigen Beurteilungskriterien leicht als unqualifiziert abtun könnte. So spricht allerdings eine eigenartig dynamische, grundsätzliche Abwehr von Aufbruch und Veränderung, die sich als allgemeiner bürgerschaftlicher Konsens wahrnimmt. Zeitgenössisches Bauen steht hier unter Generalverdacht. Und hinter der Forderung "Partizipation!" steckt ein tiefes, fundamentales Misstrauen gegenüber verfassten Strukturen (Ratsbeschlüsse), rechtlichen Verfahren (RPW-Wettbewerbe) und ganz allgemein dem Urteil, der Entscheidungsfähigkeit, ja der Legitimation zur Entscheidung durch Experten. Bis zur Frage nach der Zukunftsfähigkeit ihres Museums mit einem machbaren ersten Bauabschnitt dringt diese Gegnerschaft nicht ernsthaft vor.
Wie aber wäre denn eine Partizipation zu organisieren, die mehr leistet als eine Castingshow? Wir sollten, wir müssen angesichts solcher Erfahrungen lernen. Wir müssen gemeinsam mit den Bauherren und Auslobern Wege finden, wie eine mündige und kritische Bürgerschaft legitime Anliegen einbringen kann. Die Diskussion, die Möglichkeit zur Partizipation über die Entwicklung einer Planungsaufgabe beginnt ja lange vor dem Architektenwettbewerb.
Denn klar ist und bleibt: Es braucht in diesen gestalterischen Prozessabläufen ein unabhängiges Preisgericht und Entscheidungsträger mit dem Mut, im Sinne von (gebauten) Visionen klar und transparent für die Lösung einzutreten, auch wenn Gegenwind aufkommt. In Mainz steht viel auf dem Spiel. Der Bürgerentscheid kommt. Nun liegt es an den Mainzern, Mut und Verantwortung zu zeigen und unter Beweis zu stellen, dass Bürgerentscheide nicht nur Verhinderungsmehrheiten sind sondern auch Mehrheiten für Visionen sein können.
PS: Wie aktuell mitgeteilt wird, entscheidet der Mainzer Stadtrat am 29. November, ob die Mainzer bald doppelt Gelegenheit haben, ihrer republikanischen Tradition Ehre zu erweisen. Auch zur Sanierung des denkmalgeschützten Rathauses, eines Arne Jacobsen-Baus, soll es einen Bürgerentscheid geben, so der Vorschlag des Oberbürgermeisters. Wie die Frage hier lauten soll? Unbekannt
Archivbeitrag vom 9. November 2017