06. Juli 2017
Menschengerechte Stadt
Kopenhagen ist heute eine der lebenswertesten Städte weltweit. Das war nicht immer so. Noch vor rund 40 Jahren war sie genauso vom Autoverkehr geprägt, wie es viele Städte heute noch sind. Verantwortlich für den Wandel ist Jan Gehl. Der Architekt und Stadtplaner berät die Stadt Kopenhagen seit rund 40 Jahren und inzwischen auch Melbourne, New York, Oslo, Stockholm, Moskau... Gehl hat ein weltweites Umdenken initiiert. Inzwischen gehen viele Städte neue Wege, mit dem Ziel eine menschengerechte Stadt zu schaffen. Dazu bedarf es einer grundlegenden Veränderungen gegenüber der Automobilität. Autogerecht und Menschengerecht gehen nicht gleichzeitig. Ich denke aber, die Zeit ist reif und das wird gelingen. Denn das System Automobilität befindet sich selbst im Umbruch.
Der Verkehr oder genauer gesagt der ruhende Verkehr ist eine große Stellschraube in diesem Transformationsprozess. Es ist bekannt und vielfach nachgewiesen, dass weniger Stellplätze auch eine Reduzierung des Verkehrs nach sich ziehen. Die Stadt Hamburg hat darauf reagiert, und seit kurzem entfällt der Stellplatznachweis komplett. Man produziert dadurch eine künstliche Verknappung. Die Benutzung des Autos wird unattraktiver. Der ein oder andere verzichtet ganz darauf. Städte, die das so nicht wollen, könnten einem in Japan praktizierten Konzept folgen. Dort ist nicht der Wohnungseigentümer, sondern der Autobesitzer für seinen Stellplätze verantwortlich. Jeder, der dort ein Auto zulassen will, muss einen Stellplatz nachweisen.
Für mich hört sich gerade das japanische Beispiel genial einfach und sehr gerecht an. An den Stellplatzkosten wird, entsprechend dem Verursacherprinzip, nur noch der beteiligt, der auch Platz für sein Auto braucht. Schnell wird dies Investoren auf den Plan rufen, die für diese Leute passende Parkhäuser bauen. Der ruhende Verkehr an mancher Straße könnte umziehen und Platz für Fußgänger machen.
Egal, ob man das Hamburger oder japanische Konzept verfolgt, 500 bis 1.000 Euro günstigere Mieten pro Jahr wären ohne an die Wohnung gekoppelte Stellplatzverpflichtung rechnerisch möglich. Damit entlastet man gerechterweise Menschen, die sich kein Auto leisten können oder kein Auto wollen, ebenso ältere Menschen und Studenten.
Eine wie oben beschriebene, Veränderung der Stellplatzverordnung, hätte wahrscheinlich noch weitere positive Nebeneffekte im Sinne der Nachhaltigkeit: Der in vielen Städten verlangte Stellplatznachweis behindert die ökonomisch und ökologisch sinnvolle Nachverdichtung. Hauseigentümer, die nicht nur Wohnraum sanieren wollen, sondern gerne auch durch eine Aufstockung mehr Wohnungen schaffen möchten, scheitern. Dies ist ein verschenktes Potential. Es verhindert nicht nur den Bau relativ preiswerter Wohnungen im innerstädtischen Bereich, es kostet auch die Kommunen und uns alle viel Geld. Denn als Ersatz müssen neue Wohngebiete vor der Stadt erschlossen werden. Der damit verbundene Flächenbedarf für Straßen und Bauflächen ist gewaltig, das Pendlervolumen nimmt zu und unter dem Strich kostet es die Gemeinschaft etwa 15–25-mal so viel wie die Förderung von Nachverdichtung.
In diesem Sinne plädiere ich für die Abkehr von der autogerechten hin zur menschenfreundlichen Stadt. Einem Ort, der zum Kommen, Bleiben und Verweilen einlädt. Einer Umgebung, in der man kaufen und verkaufen kann. Einem öffentlichen Raum für und voller Menschen.
Bis in die 1960er Jahre hinein wurden Städte weltweit in erster Linie auf Basis jahrhundertelanger Erfahrung geplant. Dass und wie Stadträume nach menschlichem Maß gestaltet werden, war Teil dieser Erfahrung und eine Selbstverständlichkeit. Im Zuge steigender Einwohnerzahlen wurde der Städtebau dann allerdings zunehmend professionellen Planern übertragen. Damit verbunden ersetzen Theorien und Ideologien nach und nach die Erfahrung als Grundlagen der Stadtentwicklung. Insbesondere die Architekturmoderne mit ihrer Vision der Stadt als Maschine, deren Einzelteile separiert speziellen Funktionen entsprach, gewann an Einfluss. Mit der Zeit kam eine neue Gruppe, die Verkehrsplaner, hinzu und brachte ihre Ideen und Theorien ein, um beste Bedingungen für den Autoverkehr zu schaffen - mit dem Ziel einer "autogerechten" Stadt. Weder Stadtplaner noch Verkehrsplaner setzten die Menschen, für die sie die Städte im Grunde bauten, auf ihre Agenda und wussten so jahrelang fast nichts über den Einfluss baulicher Strukturen auf menschliches Verhalten. Die negativen Auswirkungen dieser rein funktionalen Stadtplanung auf die Menschen und darauf, wie diese den Stadtraum nutzen, wurden erst viel später erkannt.
Archivbeitrag vom 06. Juli 2017