15. August 2023
Mit Kompetenz wirken
Frau Hahn, warum wird eine Architektin Sachverständige?
Das ist eine lange Geschichte. Als Architektin hatte ich den Anspruch, fehlerfreie Planungen zu erstellen und Mängel in der Bauausführung sicher zu erkennen. Dazu musste ich etwa beurteilen können, welche Konstruktionen entsprechen den anerkannten Regeln der Technik, welche sind Stand der Technik und welche sind als Sonderkonstruktionen einzustufen. Ich wollte meine Bauherren in solchen Dingen qualifiziert beraten und meine Leistungen nach HOAI korrekt und nachvollziehbar abrechnen. Aus diesem Wunsch heraus habe ich umfangreiche Fortbildungen im Bereich Bauschäden, den Lehrgang zu Honoraren und viele weitere besucht und dabei auch nicht die Mühen gescheut, hierfür quer durch die Bundesrepublik zu reisen. Schließlich ist bei mir der Wunsch entstanden, mich öffentlich bestellen und vereidigen zu lassen. Ich wollte für meine beratende Tätigkeit einfach bestens qualifiziert sein. Aber natürlich habe ich auch eine Marktchance darin gesehen.
Was macht die Tätigkeit besonders?
Die Sachverständigentätigkeit, das sollte man wissen, lebt von der ständigen Fortbildung. Die Technik ändert sich, es gibt neue Konstruktionen, und all das macht eine ständige Fortbildung notwendig.
Durch diese Weiterentwicklungen sehe ich mich aber auch stetig neu gefordert. Gerade das macht den Beruf so spannend, aber auch die vielen Fälle, die es zu bearbeiten gilt und bei denen keiner dem anderen gleicht. In gewisser Weise gehört natürlich auch, insbesondere bei Privatgutachten, eine detektivische Arbeitsweise mit dazu.
Besonders ist natürlich auch der hohe Stellenwert, den ö.b.u.v. Sachverständige vor Gericht genießen. Schließlich besitzen sie nicht nur eine herausragende Sachkenntnis, sondern auch ein hohes Maß an Integrität und Neutralität, was wiederum eine solide Basis für das Vertrauen in unsere Arbeit ist. Denn ö.b.u.v. Sachverständige haben Kraft ihres Eides geschworen, Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstellen.
Sachverständige werden wertgeschätzt, sie bekommen Anerkennung und es gibt ein gutes Auftragspotenzial, denn Gerichte sind gehalten möglichst mit wenigen Ausnahmen öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige zu beauftragen. Neben meiner Tätigkeit für die Gerichte erstelle ich Privatgutachten, die auch als Schiedsgutachten eine Konfliktlösung zwischen den Parteien vorbereiten können.
Und ich komme in Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen. Mit Bauherren, mit Rechtsanwälten, gerade bei Ortsbesichtigungen menschelt es sehr, da sind viele Emotionen mit im Spiel, wenn sich zwei streitende Parteien gegenüberstehen. Ich habe aber auch schon Fälle erlebt, da begegnen sich die Parteien auf Augenhöhe, sie sind aber an einem Punkt angelangt, an dem sie nicht mehr miteinander weiterkommen. Sie wollen dann einfach von einer neutralen Person wissen, so sieht es aus.
Darüber hinaus kann ich sehr selbstbestimmt arbeiten, in Terminschwierigkeiten gerate ich so eher selten. Und, last but not least, durchläuft man natürlich auch eine persönliche Entwicklung, wenn man sich für diesen Weg entscheidet.
Wem raten Sie, diesen Weg zu gehen?
All denjenigen, die Freude am analytischen Denken haben, die Spaß daran haben, Planungen, Konstruktionen und Sachverhalte sachgerecht und neutral auf ihre Richtigkeit und ihren Bestand zu bewerten und die ein gutes Rechtsverständnis besitzen.
Was sind die besonderen Herausforderungen der Sachverständigentätigkeit?
Insbesondere bei der gerichtlichen Sachverständigentätigkeit kämpfen die Parteien vor Gericht. Es ist also höchstwahrscheinlich, dass eine der Parteien mit dem Gutachten unzufrieden ist. Gerade, wenn es um einen hohen Streitwert geht, wird ihr Gutachten höchstwahrscheinlich angefochten oder ein Gegengutachten erstellt. Diese Spannungen gilt es auszuhalten und die gestellten Fragen weiterhin mit viel Feingefühl sachlich und neutral zu beantworten.
Was ist ihr Handwerkszeug?
Ich habe zwei bis drei Meter Fachliteratur zu Hause stehen. Die Kollegen im Bauschadensbereich sind sicherlich noch etwas üppiger ausgestattet.
Wenn Sie ihre Prüfung haben, dann haben Sie ja wirklich lange für Ihr Knowhow geübt. Dann wissen Sie, wo Sie suchen müssen. Wenn ich aber mal wirklich nicht weiterweiß, dann habe ich Kollegen, die ich immer und zu jeder Zeit anrufen kann. Es gibt einen sehr guten Informationsaustausch.
Trotz eines hervorragenden Marktes für Sachverständige fehlt der Nachwuchs. Woran liegt das? Und warum sind insbesondere Frauen unterrepräsentiert?
Die Fortbildung zur/m Sachverständigen ist sehr anspruchsvoll und entspricht im Prinzip einem berufsbegleitenden Studium. Die Vorbereitung für die besondere Sachkundeprüfung ist zusätzlich arbeits- und zeitintensiv. Die Prüfung selbst ist eine weitere große Hürde, die meiner Ansicht nach aber genommen werden kann. Unterm Strich ist also neben dem normalen Berufsalltag, neben Familie, Kindern und weiteren Beziehungen, die gepflegt werden wollen, sehr viel Disziplin und Engagement gefragt. Ich zum Beispiel hatte neben der normalen Bürotätigkeit kleine Kinder, habe Ausbildung und Prüfung und damit die Bestellung aber trotzdem geschafft.
Sie müssen auch bedenken, dass die meisten um die 40 sind, wenn Sie den Sachverständigenlehrgang belegen. Dies ist ein gutes Alter, weil sie dann schon jede Menge Berufserfahrung sammeln konnten. Bis sie sich dann der Prüfung stellen, gehen in der Regel zwei weitere Jahre ins Land. Dann liegt die letzte Prüfung, das Diplom, in der Regel schon fast 20 Jahre zurück. Für viele kostet es einfach Überwindung, sich nach so langer Zeit einer Prüfungssituation zu stellen.
Der Frauenanteil hängt vom Bestellungsgebiet an. Während der Frauenanteil bei der Immobilienbewertung vergleichsweise hoch ist, ist der Bereich Bauschäden immer noch sehr männerdominiert. Es liegt aber auch daran, dass insgesamt nur 30 Prozent aller Architekten weiblich sind. Das ist ja an sich schon eine ganz andere Verhältnismäßigkeit. Obendrein stellt die Kindererziehung, die immer noch größtenteils von Frauen geleistet wird, eine große Hürde dar. Diese Doppelbelastung ist allerdings zeitlich absehbar. Ist man in der Sachverständigentätigkeit erst einmal fest verankert, lässt sie sich gut mit Familie und Kindern vereinbaren, da ö.b.u.v. Sachverständige sehr selbstbestimmt und flexibel arbeiten können.
Herr Stein, in welchen Bestellungsgebieten ist der Nachwuchs besonders knapp?
Vor allem im Sachgebiet „Bauschäden“ ist der Nachwuchs knapp. Wir haben nur 18 Mitglieder in der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, die im Gebiet Bauschäden bestellt sind. Ein Blick auf die Altersstruktur zeigt außerdem, dass 14 von den 18 Mitgliedern bereits über 60 Jahre alt sind, die restlichen vier sind bereits über 50 Jahre alt. Diese Altersverteilung entspricht auch dem Bild auf Bundesebene. So kommt eine bundesweite Studie vom Institut für Sachverständigenwesen (IFS) aus dem Jahr 2018 auf ein Durchschnittsalter von 59 Jahren. Mittlerweile sind fünf Jahre vergangen, wodurch der Bedarf an qualifiziertem Nachwuchs umso dringlicher wird. Wir unterstützen unsere Mitglieder aktiv auf dem Weg zur öffentlichen Bestellung.
Hinzu kommt, dass das Themengebiet „Bauschäden“ besonders häufig nachgefragt wird, da es ein sehr breites Bestellungsgebiet ist. Die Bausachverständigen bei der Architektenkammer sind für alle Gewerke bestellt, sie decken also alles ab und gelten damit als Generalisten unter den Sachverständigen.
Auf welchem Weg kann man sich qualifizieren?
Um ö.b.u.v. Sachverständige oder Sachverständiger zu werden, müssen Sie bei der Kammer ein Bestellungsverfahren beantragen und durchlaufen. Dies geschieht mit dem entsprechenden Formblatt. Gleichzeitig müssen bestimmte Grundvoraussetzungen erfüllt sein, die mit den entsprechenden Unterlagen nachzuweisen sind. Unter anderem ist dies die umfassende Fortbildung sowie ausreichende Berufspraxis in dem zu bestellenden Sachgebiet. Darüber hinaus müssen drei anonymisierte Originalgutachten oder gutachterliche Stellungnahmen eingereicht werden. Wie solche Gutachten erstellt werden, das vermittelt der vorbereitende Lehrgang. Hat man diesen erfolgreich absolviert, schließt sich für die meisten, die nicht ohnehin schon über sehr viel Erfahrung verfügen, eine Praxisphase an, in der die neuen Kenntnisse und Methoden angewendet werden und unter anderem die geforderten Gutachten erstellt werden können.
Der Sachverständigenausschuss der Architektenkammer Rheinland-Pfalz prüft die eingereichten Unterlagen dahingehend, ob der Kandidat geeignet ist und eine Chance hat, die Prüfung zu bestehen. Ist dies der Fall, dann empfiehlt der Ausschuss den Antragssteller zur Prüfung zuzulassen. Die eigentliche Prüfungszulassung wird dann durch den Vorstand erteilt. Nachdem der schriftliche und mündliche Sachkundenachweis vor der Prüfungskommission erfolgreich erbracht wurde, spricht der Ausschuss eine Empfehlung für die öffentliche Bestellung aus. Über die tatsächliche Bestellung entscheidet dann erneut der Vorstand. Die Bestellungsurkunde und der Rundstempel werden schließlich feierlich von der Vizepräsidentin Edda Kurz überreicht. Das Bestellungsverfahren im Bereich Bauschäden wurde zuletzt 2019 von zwei Mitgliedern erfolgreich durchlaufen.
Hahn: Ich möchte noch ergänzen, dass von 30 Teilnehmenden, die den Vorbereitungslehrgang belegen, etwa drei tatsächlich auch den Versuch starten, die besondere Sachkundeprüfung zu bestehen. Viele nutzen den Lehrgang, um sich selbst voranzubringen, scheuen dann aber den zusätzlichen Aufwand, um sich auf die Sachkundeprüfung vorzubereiten. Wir möchten aber alle ermuntern, genau dies zu tun.
Welche Unterstützung bietet die Kammer für angehende Sachverständige an?
Wir bieten regelmäßig unsere Sachverständigenlehrgänge an und bereiten unsere Mitglieder damit auf eine spätere Tätigkeit als ö.b.u.v. Sachverständige vor. Innerhalb der Kurse werden fachliche und methodische Kenntnisse vermittelt, es wird aber auch anhand von typischen Schadensbildern gezeigt, wie diese nicht nur erkannt, sondern auch zu bewerten und durch mängelfreie Konstruktionen zu ersetzen sind. Darüber hinaus werden auch die notwendigen Rechtskenntnisse vermittelt, die es besonders bei der Tätigkeit eines ö.b.u.v. Sachverständigen braucht. Der Lehrgang „Schäden an Gebäuden“ läuft über ein ganzes Jahr, und startet im Januar 2024 neu. Er umfasst insgesamt 24 Tage, davon finden 14 in Präsenz auf dem Weingut Wasem in Ingelheim statt, und 10 weitere als Webinartage. Abgeschlossen wird der Lehrgang im Dezember 2024..
Vorab bieten wir am 28. September 2023 von 17:00 – 18:30 Uhr eine kostenfreie Infoveranstaltung für das Bestellungsgebiet „Bauschäden“ an. Hier erfahren Interessenten alles Wissenswerte rund um die Sachverständigentätigkeit im Sachgebiet Bauschäden. In kurzen Impulsvorträgen berichten die ö.b.u.v. Sachverständigen Sabine Hahn und Horst Schmid über die Tätigkeit als Sachverständige/r, die Inhalte des Lehrgangs und die Besonderheiten des Bestellungsgebietes Bauschäden. Ich persönlich werde das Bestellungsverfahren erläutern und Fördermöglichkeiten nennen. Generell engagiere ich mich sehr gerne im Sachverständigenwesen, weil man hier ausschließlich absolute Experten ihres Fachgebietes trifft. So etwas finde ich total spannend. Man weiß, es gibt kaum Architekten, die sich in diesem Sachgebiet besser auskennen, als unsere Sachverständigen. Und mit der Prüfung wird diese überdurchschnittliche, besondere Sachkunde nachgewiesen, die über die Sachkunde, die ohnehin jeder Architekt in diesem Bereich hat, deutlich hinausgeht. Deshalb wird abschließend Felix Baum, einer der zuletzt von der Kammer bestellten ö.b.u.v. Sachverständigen darüber berichten, wie er sich auf diese anspruchsvolle Prüfung vorbereitet hat, aber auch über seinen Einstieg in die neue Tätigkeit. Wir freuen uns auf jeden Fall schon jetzt auf eine rege Teilnahme.
Das Interview führte Melanie Schulz.