18. Juni 2020

Office oder Homeoffice?

Zwei Architektinnen und drei Architekten berichten aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Arbeiten von zu Hause aus.

Arbeiten von zu Hause aus – das tun wegen der Coronakrise derzeit wahrscheinlich so viele Menschen wie nie zuvor. Mehr Freiheit, mehr Selbstständigkeit: Für manche Menschen ist das Homeoffice das Nonplusultra modernen Arbeitens. Doch es hat auch seine Schattenseiten. Zwei Architektinnen und drei Architekten berichten aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Arbeiten von zu Hause aus.

 

Prof. Heinrich Lessing, HEINRICH LESSING ARCHITEKTEN, Mainz

Noch kurz bevor der Lockdown alles verändern sollte, habe ich Videokonferenzen kategorisch abgelehnt und nur widerwillig daran teilgenommen. Wenn Mitarbeiter*innen einen Tag im Homeoffice arbeiten wollten, war das natürlich ok. Ich habe darin aber für den gesamten Prozess im Büro keine Perspektive gesehen, und gedacht: Was passiert, wenn das jetzt auf einmal alle machen? Am 16. März 2020 haben wir dann das Büro dicht gemacht, und für uns begann eine neue Arbeitsrealität. Homeoffice. Erstmal so etwas wie ein Notfall, aber relativ bald entstand der Eindruck, dass das Arbeiten unter diesen Bedingungen, im Vergleich zur akustischen Belastung im Büro, mehr Konzentration ermöglicht und die Projekte eher befördert als behindert. Viele Abläufe ließen sich damit sehr gut abbilden. Gleichzeitig bekam das persönliche Gespräch, das gemeinsame Entwickeln eines Gedankens anhand der Skizze, am Modell, im Rahmen der neuen Randbedingungen einen besonderen Wert. Videokonferenzen sind mittlerweile Alltag. Anstrengend, aber durchaus zielführend und eine sehr gute Alternative zum Ressourcenverbrauch, der mit Präsenzterminen verbunden ist, wenn 12 Teilnehmer aus einem Umkreis von 100 km anreisen. Meine Einstellung bezüglich des dezentralisierten Arbeitens hat sich in den letzten Wochen stark verändert. Weil wir mussten, haben wir Erfahrungen machen können, die wir ohne diese äußeren Umstände nicht gemacht hätten. Eine sehr wertvolle Erkenntnis. Deutlich wurde aber auch: Nichts ersetzt das persönliche Gegenüber, den unmittelbaren Dialog oder eine Geste, ein Augenzwinkern, das die Datenübertragungsrate sicher verschluckt hätte…

 

Nadya König-Lehrmann, Geschäftsführerin Zweckverband Oberes Mittelrheintal

Homeoffice haben wir beim Welterbe-Zweckverband schon vor der Coronazeit eingeführt, jedoch wurde es eher sporadisch von Kollegen mit Kindern in Anspruch genommen. Coronabedingt haben die Mitarbeiter*innen nun über mehrere Wochen überwiegend von zu Hause gearbeitet, was prima klappt und den Vorteil klar erkennen lässt: Die Kinder können zu Hause betreut werden, während man der Arbeit nachgeht, der Arbeitsalltag lässt sich besser auf die familiären und persönlichen Bedürfnisse einteilen und man verfügt über eine höhere Flexibilität. Auch kann man sich zu Hause sehr fokussiert und konzentriert einem Projekt oder strategischen Überlegungen zuwenden, was im allgemeinen Bürotrubel nicht immer möglich ist. Aber nach einigen Wochen, die wir beinahe ausschließlich im Homeoffice verbracht haben, hat der direkte Austausch mit den Kollegen gefehlt. Man steckt doch öfter mal die Köpfe über kniffeligen Projekten zusammen und das fehlte ungemein. Wir werden daher auch mit weiter zunehmender Normalität eine für das Team passende und gute Mischung aus Büropräsenz und Homeoffice beibehalten.

 

Daniel Spreier, Architekturbüro Spreier, Dreis

Das Homeoffice als Angebot an die Mitarbeiter wird ein fester Bestandteil des zukünftigen Architekturbüros sein. Es bietet Eltern die Möglichkeit, Beruf und Familie flexibler zu verbinden. Darüber hinaus können Büros ihre Effizienz durch das Einsparen von Anfahrtswegen und Büroflächen steigern. Nicht zu vernachlässigen sind auch Chancen für die Umwelt und die Stärkung des ländlichen Raums. Vorausgesetzt ist jedoch der schnelle Ausbau der Glasfaseranbindung aller
Dörfer und der flächige Ausbau der Ganztagsbetreuung von Kindern in Kitas und Schulen.

 

Jutta Stammwitz-Becker, Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd

In der Hochphase der Coronakrise habe ich zwei Monate lang im Homeoffice gearbeitet. Rückblickend kann ich sagen, dass das Arbeiten von Zuhause sehr gut funktioniert hat und meiner Produktivität in keiner Weise abträglich gewesen ist. Allerdings habe ich den Kontakt mit den Kollegen vermisst; Abstimmungen fanden fast ausschließlich digital per Email, Telefon oder Telefonkonferenz statt. Für eine länger währende Homeoffice-Zeit sehe ich neben dem Ausbau  der Digitalisierung eine große Herausforderung darin, den fachlichen wie informellen Austausch im Team zu erhalten und bestehende berufliche Netzwerke zu pflegen. Als Architektin beschäftigen mich in diesem Zusammenhang aber auch Fragen wie zum Beispiel: Wie lässt sich Homeoffice bei begrenztem eigenem Wohnraum realisieren? Was, wenn die individuellen Wohnverhältnisse kein separates Arbeitszimmer zulassen? Wieviel Home muss bzw. darf Homeoffice eigentlich ein? Mit Blick auf Suffizienz und Ressourcenschonung einerseits und Gerechtigkeit und Chancengleichheit andererseits müssen wir meines Erachtens Modelle wie Coworking Spaces, gemeinsam bzw. alternierend nutzbare multifunktionale Arbeitsbereiche nahe des privaten Wohnorts künftig noch mehr in den Fokus nehmen.

 

Andreas Nees, GOLDBECK Südwest GmbH, Koblenz

Ich gehöre zu den Menschen, die nicht gerne im Homeoffice arbeiten. Ich mag die sozialen Komponenten im Büro: Das persönliche Begegnen, den Händedruck, das kurze Gespräch auf dem Flur, dass in die Augen schauen und so vieles mehr. Auch kann ich im Büro den Arbeitstag aufgrund bekannter Abläufe klar strukturieren. Die Trennung von Beruf und Privatem fällt mir aufgrund der Verortung leicht. In meiner Zeit im Homeoffice ist mir das nicht so einfach gelungen. Da mir kein eigenes Arbeitszimmer zur Verfügung steht, vermischte sich unwillkürlich Beruf und Privatleben. Es entstanden längere Arbeitszeiten, Ablenkungen während des Arbeitsalltages und die gewohnte Struktur ging verloren. Insgesamt für mich kein persönlicher Vorteil für beide Bereiche. Allerdings
bringt der Zwang, durch Corona im Homeoffice arbeiten zu müssen, Chance auf Veränderung. Bestehende Arbeitsmethoden und -abläufe wurden auf den Prüfstand gestellt und bei Bedarf geändert. Neue Techniken werden kurzerhand ausprobiert und bei Gelingen mit unerwarteter Geschwindigkeit eingeführt.