31. Mai 2006

Schulen brauchen Qualität - Symposium

Schwedische Pädagogen bezeichnen die Mitschüler als den ersten, den Lehrer als den zweiten und das Schulgebäude als den dritten Lehrer eines jeden Kindes. Wie Schulen aussehen sollten, die als vorbildliche dritte Lehrer taugen, darauf hatten die Referenten des Schulbausymposiums im rheinland-pfälzischen Landtag am Mittwoch, den 19. November 2003, so unterschiedlich ihre Ansätze im Einzelnen waren, eine gemeinsame Antwort: Klasse statt Masse.

Vor dem Hintergrund der PISA- und der OECD-Studie werden Fragen aufgeworfen wie Lernen in der Zukunft organisiert und gestaltet werden sollte. Schulbau wird, nachdem es lange "ignoriert oder unterschätzt wurde", wieder zu einem beachteten Thema, so Günther Franz, Präsident der Architektenkammer Rheinland-Pfalz in seiner Einführung. Als Grundlage für die anschließende Analyse der aktuellen Diskussion entwickelte Franz parallel die Linien des deutschen und des rheinland-pfälzischen Schulbaus seit 1945 zum Resümee: "Ein halbes Jahrhundert stürmischer Schulbauentwicklung, manche reformatorische Ziele wurden erreicht, andere haben sich als untauglich erweisen - aus den Erfahrungen lernen!" Bildungspolitiker, Pädagogen, Architekten und Schulbauträger rief er auf, kurzfristig Regelverfahren zu erarbeiten, die Baukultur im Dienst der Bildung ermöglichen.

Anlässlich des ehrgeizigen rheinland-pfälzischen Ganztagsschulprogramms, bis zum Ende der Legislaturperiode soll es 300 Ganztagsschulen im Land geben, stehen zwar kaum Neubauten, aber viele Erweiterungen, Ergänzungen und Sanierungen von Schulen an. Prof. Dr. Joachim Hofmann-Göttig, Staatssekretär im Ministerium für Bildung, Frauen und Jugend, legte seine Vorstellungen vom Schulbau in neun Thesen dar. Schulen stärker im Dialog mit Lehrern und Eltern zu entwickeln war eines seiner Anliegen. Verantwortung und damit Identifikation müsse stärker auf die einzelne Schule übertragen werden. Nicht zu unterschätzen seien die pädagogischen Implikationen des Ortes, an dem junge Menschen einen großen Teil ihrer Lern- und Lebenszeit verbringen.

"Eine Schule ist dann eine gute Schule, wenn die Kinder traurig sind, wenn der Unterricht ausfällt," so Dr. Otto Seydel vom Institut für Schulbauentwicklung in Überlingen. Welche Rolle dabei der Raum spielt, so Seydel weiter, sei bislang kaum erforscht. Eine der wenigen Ausnahmen stelle ein Projekt der Wüstenrot Stiftung dar. Um sich dem Thema zu nähern, fragte er nach einem Ort, an dem Kinder lernen und leben und von dem Kinder lernen können.

Durch die Unterscheidung von vier verschiedenen Lernformen kam er zu Lerngruppengößen von einem, zwei, vier bis zwölf und vielen Beteiligten, für die adäquate Räume nötig seien - eine Herausforderung an den herkömmlichen Schulbau: "Fläche, Fläche und noch einmal Fläche" lautete Seydels Grundforderung und er ergänzte den Wunsch nach flexibler Gliederbarkeit, die vielfältige Arrangements zulasse. Für Ganztagsschulen gelte dann spätestens auch, dass der Lern- zum Lebensraum werde. Neben den Arbeitsflächen seien Spielräume, Speiseräume, Begegnungs- und Ruhezonen nötig. Ein Ort, von dem Schüler lernen könnten, müsste nach seiner Auffassung Arbeit und soziales Miteinander zu ordnen fördern. Er müsste zum achtsamen Umgang statt zum Vandalismus anregen und neben ästhetischer Grundbildung einen verantwortungsbewussten Umgang mit den natürlichen Ressourcen lehren. Schulen sollten ästhetisch, ökologisch und konstruktiv ein Vorbild sein. Nicht zuletzt gelte es auch die räumlichen Arbeitsbedingungen für Lehrer zu verbessern.

PISA sei ein kleiner Ast gewesen, "mit dem im Selbstbewusstsein des selbsternannten Dichter- und Denkerstaates" herumgestochert worden sei wie in einem Ameisenhaufen, so Prof. Arno Lederer, Architekt in Stuttgart und Hochschullehrer in Karlsruhe. Die einsetzende Aufregung münde nun übergangslos in einer Verordnungsphase, ohne dass eine wirkliche Auseinandersetzung stattgefunden habe. Bei den Bildungsausgaben und den Schulbauinvestitionen nehme, so Lederer weiter, die Bundesrepublik einen der hinteren Plätze im europäischen Vergleich ein. Das sich hierin manifestierende Versäumnis verglich er mit der Entdeckung einer Ölquelle, für deren künftige Ausbeutung umstandslos Kredite aufgenommen würden. Für Investitionen in die einzige natürliche Ressource einer Wissensgesellschaft sei dies im Zweifel ebenso notwendig, aber noch lange nicht selbstverständlich.

Die Frage nach dem richtigen Lernort beantwortete Lederer - orientiert an einer tour d'horizon durch den Schulbau seit dem 1. Weltkrieg - mit der Forderung nach Qualität "Jede Vereinfachung, ..., erfordert eine zusätzliche Präzision in der Materialwahl, in der Lichtführung und in der Detailqualität." Das vermeintlich Einfache sah er als anspruchsvolle Aufgabe und die geforderte Flexibilität durch verschiebbare Wände nur scheinbar erfüllt. Diese seien nicht nur klimatechnisch und konstruktiv ein teuerer Spaß, sondern würden auch selten genutzt. Sein Credo war der sorgsam geplante, stimmige, einzigartige Ort als Kulturraum: "Er ist erst Ort, wenn wir ihn woanders nicht wiederfinden können. Er ist Ort dadurch, dass er sich unterscheidet. Hat er eine bestimmte Qualität, so enthält er eine Botschaft, ..."

Lederer schlug abschließend zehn eigene Schulbauregeln vor:
1. "Schule ist teil der Stadt oder Landschaft (...)
2. Schulhäuser gehören in die Stadt (...)
3. Schulhäuser sind keine Wissensvermittlungsmaschinen (...)
4. Schulhäuser sind keine Aufsichtsanstalten (...)
5. Schulhäuser müssen Verlässlichkeit vermitteln, weil auch Wissen und Bildung ein langfristig angelegtes Gut sind (...)
6. Schule ist das Gegenstück zur Event-Kultur (...)
7. Das Schulhaus hat wie Kirche oder Rathaus hinsichtlich seiner Gestalt Vorbildfunktion (...)
8. Geschmack ist Bildung (...)
9. Schulen müssen ein Beispiel für die Achtung unserer Umwelt sein (...)
10. Das Schulhaus muss so sein, dass die Kinder jeden Morgen mit Stolz dort ein- und ausgehen (...)"

Anlässlich des 70. Geburtstages von Kammerpräsident Günther Franz fand im Anschluss an das Schulbausymposium in der Lobby des rheinland-pfälzischen Landtages auf Einladung von Vizepräsident Hans Gelbert, Ludwgshafen, und Hauptgeschäftsführer Dr. Michael Coridaß ein Empfang statt. Finanz- und Bauminister Gernot Mittler, der Mainzer Baubürgermeister Norbert Schüler und Ludwig Mann, Vorsitzender des BDA Rheinland-Pfalz, ehrten Franz für sein langjähriges berufspolitisches Engagement in Rheinland-Pfalz, bei der Bundesarchitektenkammer und in Europa und als renommierten und gerade im Schulbau aktiven Architekten.

 

Archivbeitrag vom 22. Dezember 2016