18. April 2023

Um GROSS zu DENKEN braucht es nicht viel

Innenarchitektin Simone Bremus über den Suffizienzgedanken

In vielen Bereichen werden bereits suffiziente Strategien stärker praktiziert als in der Baubranche. Zunehmend gilt es als chic, seine Freizeit asketisch zu gestalten: Maßnahmen zur Bewusstseinssteigerung wie Meditation und Yoga, aber auch Wandern und Pilgern, um dem alltäglichen Stress und Reizüberflutungen zu entfliehen und einen inneren Ausgleich zu finden. Auch Natururlaube wie Camping und Ferien auf der Berghütte sind aktuell sehr gefragt. Und in der Gastronomie legen Kunden verstärkt Wert auf Qualität; der Genuss von nachhaltigen Lebensmitteln erfährt Respekt und Würdigung.

Die Baubranche tut sich hier noch schwer. Für viele gilt nach wie vor: Mehr muss her! Kulturräume bilden dabei eine Ausnahme. Sie sind schon seit langer Zeit reduziert. Es gilt als selbstverständlich, dass sich der Innenraum dem Nutzen unterordnet und den notwendigen Rahmen für die Kunst stellt. In vielen anderen Bereichen dagegen erleben wir überladene Innenräume, Fassaden und Straßen. Eine Willkür von Form und Farbe, ja ein Cocktail, bei dem die einzelnen Zutaten nicht mehr klar erkennbar sind. Oder auch hochtechnisierte Räume, die uns von zu vielen Ungewissheiten abhängig machen. Doch brauchen wir das überhaupt noch?

 

Suffizienz bedeutet für mich: Weniger ist mehr - Qualität statt Quantität.

Wie erreichen wir ein Umdenken, um suffizientes Bauen zu etablieren, Qualität den Vorrang vor Quantität zu geben und Minimalismus zu forcieren? Wir Planende sollten bei allen Bauaufgaben – unabhängig von ihrer Größe – bestrebt sein, ein nachhaltiges Konzept zu entwickeln, das sich wie ein roter Faden durch alle Planungs- und Bauphasen zieht. Eine intensive Auseinandersetzung mit der Bauaufgabe, um den Fokus auf die Nutzung und seine Umwelt zu legen, ist dabei ein fundamentaler Baustein der Suffizienzstrategie. Ein gutes Konzept verschafft dem Projekt Stärke und Kraft, um alle Bauphasen zu meistern. Hierbei helfen uns ebenso ganzheitliches Denken, Kreativität, Motivation und soziale Intelligenz. Suffizienz ist weder langweilig noch klein. Sie beinhaltet großes Denken und besinnt sich auf das Wesentliche. Dadurch lassen sich viele Vorteile für den Bauherrn gestalten, zumal explodierende Kosten, Flächenmangel und Ressourcenknappheit ein Umdenken sowohl bei Bauherren als auch bei Planenden fordern.

Verdeutlichen wir die Suffizienzstrategie am Beispiel Bauen im Bestand. Hier gilt es, Potenziale zu erkennen und herauszufinden, welche Bauteile erhalten, ergänzt, umgenutzt oder an anderer Stelle wieder verwendet werden können. Wie lassen sich vorhandene Flächen flexibler, effektiver, nachhaltiger für die neue Bauaufgabe nutzen? Wenn sich Bauherr und Planer kreativ an diesem Prozess beteiligten, eröffnen sich neue Wege. Oft sind es kleine Veränderung, die den fehlenden Raum schaffen. Beispielsweise lassen sich durch Veränderung von Arbeitsabläufen, die Einführung flexiblerer Arbeitszeiten und Arbeitsplatzteilung vorhandene Flächen so optimieren, dass auch bei steigender Mitarbeiterzahl der Bestand ausreichen kann. Durch flexiblere Pausen in Schulen reichen vorhandene Verkehrswege und Pausenfläche auch dann, wenn Klassenräume ergänzt werden müssen.

Die allgegenwärtige Ressourcenknappheit zwingt uns dazu, den Energie- und Materialverbrauch zu minimieren. Hier zeigen uns bekannte Architekten anhand herausragender gebauter Beispiele, dass Gebäude auch ohne Heizung, Klimaanlage und ein Höchstmaß an Hightech auskommen. Bei der Materialwahl sollten wir uns wieder vermehrt der Qualität widmen. Ein Massivholztisch ist vielleicht erst einmal teurer in der Anschaffung, langfristig gesehen aber nicht. Denn er ist langlebiger, gut aufzuarbeiten und kann zerlegt wiederverwendet werden. Beim Einsatz neuer Materialien sollten wir nach Möglichkeit verstärkt Recyclingmaterialien und Produkte einsetzen. Das bedeutet keinesfalls, dass unsere Innenräume unmodern, gebraucht oder fade wirken. Im Gegenteil: Eine gute Detailplanung, die gestalterisch und fachlich auf die Materialität abgestimmt ist, schafft wundervolle Räume.

Mein Fazit: Wir müssen mehr Energie in unsere Konzepte und Ideen investieren. Nur so können wir Bauherren davon überzeugen, dass Suffizienz viel mehr bedeutet als Verzicht – getreu dem Motto der Shaolin Mönche, konzentriere dich auf das Wesentliche, respektiere und achte deine Umwelt und begegne der Natur mit Respekt.

Dadurch schaffen wir zukunftsweisende Räume, Gebäude und Stadteile, die vollkommen sind, weil sie sich auf das Wesentliche konzentrieren und die Umwelt respektieren.