Rückblick Heilender Raum
Text von Reinhard Hübsch
„Heilende Räume“ standen im Mittelpunkt des Symposiums der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, das im Rahmen eines Tagungszyklus mit dem Titel „Reformation und Architektur“ in der Diakonie Bad Kreuznach veranstaltet wurde. Geladen waren Architekten und Ärzte, Kunsthistoriker und Theologen, um der Frage nachzugehen, welchen Einfluß die Reformation auf Architektur und Stadtplanung genommen hat; Das Augenmerk in Bad Kreuznach lag zwar vor allem Krankenhausplanungen, wobei jedoch deutlich wurde, daß Heilung im diakonischen Sinn auch in anderen Einrichtungen angeboten wird, von der Drogenklinik bis zur Therapie von Flüchtlingen und Folteropfern.
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Die abschließende Diskussion machte die Dilemmata offensichtlich, vor denen Theologen, Architekten und Mediziner stehen. Der (theologische) Aufruf zur tätigen Nächstenliebe findet schnell seine Grenzen, wenn - wie die Trierer Politikwissenschaftlerin Dr. Ulrike Winkler eingangs formulierte - der Großbetrieb Klinik zwar eine umfassende medizinische Infrastruktur bereithält, in der das Individuelle aber kaum Raum findet. „Welche Möglichkeiten gibt es, da Atmosphäre hineinzubringen?“, fragte denn auch der Düsseldorfer Kunsthistoriker Prof. Dr. Jürgen Wiener, wie kann „der Gegensatz zwischen dem vertrauten Zuhause und dem Fremden der Klinik“ für den Patienten überbückt werden? Der Weg zurück an die Ursprünge, in die Diakonie des 19. Jahrhunderts, dieser Weg, so Ulrike Winkler, ist verbaut; und den Weg in die Hilberseimerschen Gesundheitswelten, die noch in den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts als segensreiche Utopien galten, wollte denn auch keiner ernsthaft beschreiten, galten sie doch, wie es in der Debatte hieß, in ihrer rigiden Formensprache als nahezu stalinistisch. Ulrike Winker war es, die meinte einen segensreichen Imperativ meinte gefunden zu haben: „Das Monumentale muß weg!“ postulierte sie.
Die Berliner Planerin Tanja Eichenauer konnte denn auch mit monumentalitätsfernen Lösungen aufwarten: In Skandinavien bestimme zunehmend das Patienten-Einzelzimmer die Klinik-Wirklichkeit, so Eichenauer, da werde der Individualität also mehr und mehr Raum gegeben. Und in den Niederlanden werden in Kliniken zunehmend Familienräume geplant, mit einem doppelten Effekt: Zum einen könne dem Kranken die soziale Nahwelt auch in der Klinik verbunden bleiben, zum anderen könnten Familienangehörige dann auch gelegentlich das medizinische Personal entlasten - angesichts ständig zunehmender Kürzungen im Personalbereich sei das eine Entwicklung, die auch von den Klinikleitungen begrüßt werde.
Doch wie sollen in Großstädten wie Frankfurt, Berlin und Hamburg (aus denen in den vorangegangenen Vorträgen Beispiele zu sehen waren) mit ihrem Massenandrang die geforderten kleinteiligen, überschaubaren Kliniken entstehen? Wie soll eine Medizin, in der Chirurgen, Radiologen und Neurologen mit ihren ganz spezifischen technischen Ansprüchen kooperieren müssen, zusammengeführt werden, ohne daß große Krankenhaus-Komplexe entstehen? Und wie soll betriebswirtschaftlich sinnvoll (will heißen: kostenbewußt) geheilt werden, wenn das Personal zwischen einzelnen, kleinteiligen Klinikgebäuden große Wegstrecken zurücklegen muß?
Die Dilemmata sind vielfältig: Auf der einen Seite stehen die Kranken, die vielfach mit Ängsten in die Kliniken kommen und Räume wünschen, die Vertrautheit und Schutz geben, in denen die lebensrettende Technik möglichst wenig in Erscheinung tritt; auf der anderen Seite benötigt das Klinikpersonal Bedingungen für effizientes, rationelles Arbeiten. Und schließlich müssen die Interessen Betreiber von Kliniken berücksichtigt werden: Ob finanziell klamme Kommunen, ob Universitätseinrichtungen mit ausgezirkelten Forschungs-Etats oder private Klinikbetreiber, deren Investoren anständige Renditen erwarten - sie alle investieren in Gesundheitszentren nur so viel Geld, wie sie es für unerläßlich halten.
Gleichwohl: „Diese Debatte ist notwendig“, so die Gießener Theologin Prof. Dr. Athina Lexutt, die auf ein weiteres Dilemma einging. Definierte mit Luther die Reformation ein neues, aktives und Gott gegenüber selbstbewußtes Menschenbild, aus dem die Forderung nach aktiver Nächstenliebe erwuchs, gehen andererseits in einer sich zunehmend säkularisierenden Welt eben jene theologischen Fragestellungen zunehmend unter. Und genau deshalb, so Lexutt, müsse um so nachdringlicher die Frage nach dem Heil gestellt werden, denn Heilung gehe aus von einem „Mensch als geheiligtem Wesen“ - und wenn es gelingt, diese Debatte zu führen, dann wäre eine Menge gewonnen: „Die Theologie hat dazu eine Menge zu sagen!“
Theologische, metaphysische Fragestellungen hätten in Kliniken - da war das Quartett sich einig - ebenfalls Raum zu finden; hier, wo täglich die Endlichkeit des Lebens verhandelt werde, müsse es Orte der Kontemplation, der Meditation geben, übrigens nicht nur für Menschen, die aus christlichen Traditionen stammen. Da in Deutschland zunehmend Emigranten aus anderen Kulturen ihren Platz finden, müßten auch sie Angebote erhalten, die ihren religiösen Bedürfnissen Rechnung tragen.
Und die Architektinnen und Architekten? Sie scheinen geradezu zerrieben zwischen den unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Anforderungen nach einer Architektur der Nähe und Überschaubarkeit auf der einen Seite, der Funktionalität auf der anderen sowie Konstenbewußtsein und Rentabilität. Doch die aus Berlin angereiste Planerin Tanja Eichenauer erweckte keineswegs den Eindruck, als sei sie unter die Mahlsteine einer höchst komplexen Debatte geraten. Mit großzügig verglasten Wänden könne man die Natur in die Heil-Stätten ziehen, so Eichenauer, und eine fröhliche Farbgebung könne das aseptische Weiß ohne weiteres ersetzen; was die haptische Qualitäten von Klinikbauten angehe, da sei man, so Eichenauer frohgemut, auf einem guten Weg.