Rückblick Öffentlicher Raum
Die Abschlussveranstaltung fand am Freitag, dem 6. November 2015 in Worms statt.
Zum vierten Mal hatte die Architektenkammer Rheinland-Pfalz zu einem Symposium im Rahmen der Tagungsreihe „Reformation und Architektur“ geladen, das Anfang November zum Thema „Öffentlicher Raum“ in der Lutherstadt Worms stattfand. Präsident Gerold Reker wies eingangs auf die vielfältigen Funktionen des öffentlichen Raums hin, der neben sozialen auch psychologische Funktionen übernimmt und der - bei aller begrifflicher Unschärfe dieses Begriffs - in steter Wechselwirkung zum privaten Raum steht und damit auch in einem dynamischen Wechselverhältnis zwischen Be- und Entschleunigung.
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Text von Reinhard Hübsch
Der Mainzer Theologe Prof. Dr. Stephan Weyer-Menkhoff (Evangelisch-theologische Fakultät der Universität Mainz) insistierte, dass Kirche ihren Raum in der Öffentlichkeit seit der Reformation als einen Ort der Gabe verstehe, als ein Geschenk an die Öffentlichkeit, der sich zunehmend ökonomischen Zumutungen zu widersetzen habe. Der Kölner Planer und Theologe Jörg Beste skizzierte einen Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung von Kirchenbauten, aber auch von gebauter Umwelt insgesamt. Waren Sakralbauten in vergangenen Jahrhunderten stets von einer gefühlten Aura des Besonderen umgeben, denen man sich in einer vom Wertekanon einer überwiegend christlich-jüdisch geprägten Öffentlichkeit ehrfürchtig näherte, hat sich diese Haltung in den letzten Jahrzehnten geändert; dieser Wandel, so Beste, betrifft nicht nur für christliche Kirchen und jüdische Synagogen, sondern auch die Repräsentationsbauten der ökonomischen und sozialen Macht. Signifikant für Kirchenbauten war zudem, dass sie zumeist den geographischen Mittelpunkt von Städten und Dörfern bildeten, die (mit ihren Glockentürmen) auch Ausdruck eines ausgeprägten Machtbewusstseins bildeten und schließlich auch Orientierungspunkte in der (Stadt-)Landschaft. Während sie diese letzte Funktion immer noch wahrnehmen (aber im zunehmend wachsenden, urbanen Hochhaus-Getümmel allmählich verlieren), bilden sie in Zeiten rückläufiger Kirchenmitgliedschaft schon lange keine markanten Fixpunkte im sozialen und ethischen Bewusstsein der Öffentlichkeit. Die rückläufige Zahl von Kirchenmitgliedern hat zudem dazu geführt, dass Kirchen aufgegeben, entwidmet und neuen Zwecken zugeführt wurden; somit verheißt nicht mehr jeder Kirchenbau zugleich eine religiöse Nutzung - was in der Öffentlichkeit zu Irritationen führen kann: Ist in jedem Kirchenbau auch Kirche präsent? Dieser Paradigmenwechsel, so Beste, geht einher mit einer neuen Wahrnehmung von Stadt, die früher als Ensemble von Solitären erlebt wurde, die eingewebt waren in eine Textur aus Wohn- und Gewerbebauten. Heute wird das Stadtbild egalitär begriffen als Ansammlung von Bauten unterschiedlicher Nutzung - eine Egalisierung, die manche als Banalisierung, andere als Demokratisierung der Wahrnehmung von öffentlichem Raum erleben.
Gleichwohl: Im Stadtbild bleiben Kirchenbauten präsent, und für die gilt ein eigenes Baurecht, das Prof. Dr. Ansgar Hense (Direktor des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands, Bonn) skizzierte, während Lars Restemeier vom Büro Heidenreich & Springer Architekten (Berlin) „Kirchenneubau und Stadtgesellschaft“ über referierte. In seinem Impulsreferat skizzierte Dr. Peter Waldmann, der fast eineinhalb Jahrzehnte als Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Rheinland-Pfalz fungierte, aktuelle Tendenzen in der Wahrnehmung jüdischer Gotteshäuser; er sieht die Gefahr, dass der starke Rückbezug auf die jüdische Vergangenheit „im schlimmsten Fall die Reduzierung auf ein rein museales Phänomen“ bedeutet und mahnte deshalb eine neue Diskussion zur Fragestellung „Judentum und öffentlicher Raum“ an, wobei einer der Bezugspunkte die von Manuel Herz in Mainz geplante und 2010 eröffnete Neue Synagoge sein könnte.
Die sich anschließende Diskussion hatte ihren Fluchtpunkt in der Zukunft. Wie kann, so die Ausgangs-Fragestellung, der öffentliche Raum in 25 Jahren aussehen, also im Jahr 2040? Kirchenbau in einer globalisierten, digitalisierten Welt, in der Migrationsbewegungen (vermutlich) einen ersten Abschluss gefunden haben und sich folglich neben den beiden christlichen und neben den jüdischen Gemeinden werden zunehmend islamische Moscheen etabliert haben - möglicherweise (so vermutete Jörg Beste) werden sich die Religionen vermehrt unter einem Dach wiederfinden, so wie sie es im geplanten „Haus des Einen“ in Berlin geplant ist. Nach einem europaweit ausgeschrieben Wettbewerb erhielt das Berliner Büro Kuehn + Malvezzi den Auftrag, einen Entwurf umzusetzen, in dem von einem gemeinsamen Foyer aus eine christliche Kirche (die gemeinsam von katholischen und evangelischen Christen genutzt wird) eine Synagoge und eine Moschee erreicht werden können. Von diesem Szenario aus entspann sich eine Kontroverse, die auf der einen Seite einen solchen Pan-Theismus ablehnt, weil er (existentielle) Besonderheiten der katholischen, evangelischen, der jüdischen und islamischen Lehre bestenfalls glättet oder gar zum Verschwinden bringt. Für Prof. Dr. Weyer-Menkhoff „wird da etwas vergleichgültigt“, zudem, so der evangelische Theologe, „ist das der Gabe der Religion zuwider“. Auch Dr. Waldmann als überzeugter Jude reagierte auf ein solches Haus mit Unbehagen, auch weil er in einem solchen monotheistischen Bau eine unstatthafte „Neutralisierung“ (im Sinne von Carl Schmitt) sieht. Ratlos zeigte sich der Architekt gegenüber einem solchen Bau, der auf eine spezifische Ikonographie verzichten müsse, könnte doch vermutlich weder das christliche Kreuz noch der islamische Halbmond oder der jüdische Davidstern hier äußerliche Verwendung finden. Kirchenbauten in der Öffentlichkeit - angesichts der Entwidmung zahlreicher Kirchen und ihre Umnutzung vor allem für kommerzielle Zwecke plädierte Prof. Dr. Weyer-Menkhoff für den Abriss der Kirchen, womit er auf den Widerstand sowohl vom Kirchenrechtler Prof. Dr. Hense wie des Planers Beste traf, die beide in Erinnerung riefen, dass zahllose Kirchenbauten den Status den Denkmalschutzes genießen. Gleichwohl: Für Weyer-Menkhoff ist die Umnutzung eine „Unzumutbarkeit“.
Am Ende wurde noch einmal das „Haus des Einen“ als mögliche Zukunftsperspektive der Kirchen debattiert; wirtschaftliche Zwänge, die sich aus einer zunehmend „entreligionisierten“ Gesellschaft ergeben, könnten nicht nur ein solches gebautes Zusammengehen erzwingen, und zudem könnte ein direkter Weg zunehmend von der Ökonomie zur Ökumene führen. Welche Auswirkungen das auf die Gestaltung des öffentlichen Raums haben kann, blieb am Ende offen.