Weingut Poss
Windesheim (2011)
Goldgrube 20-22, 55452 Windesheim
- Innenarchitekt: Dipl.-Ing. (FH) Heiko Gruber, i21 Planungsbüro, Rüdesheim. MEHR
- Architekt: Dipl.-Ing. (FH) Oliver Schrögel, Schrögel + Schrögel, Bad Kreuznach. MEHR
- Glasfassade: Metallbau Beilmann GmbH, Gutenberg
- Mitarbeiter: Dipl.-Ing. (FH) Tobias Petri, i21 Planungsbüro, Rüdesheim
- Bauherren: Karl-Hans und Harald Poss, Weingut Poss, Windesheim. MEHR
Pinot, die Burgundertraube, gibt das Leitmotiv für die Gestaltung der Vinothek vor. Nicht nur im Namen der Pinoteca, sondern auch in ihren Gestaltungsprinzipien findet sich so das Kernprodukt des Weingutes Poss angemessen repräsentiert. Ein differenziertes Zusammenspiel von Farbe und Licht und die Einfachheit einer klaren Lösung machen die Vinothek bei Tag und Nacht zu einem gelungenen Ort der Weinverkostung.
Aus der Jurybewertung
„Poss-Burgunder kennen keine Kompromisse!“, mit diesem selbstbewussten Statement gab der Bauherr die Gestaltungslinie seiner Vinothek vor.
Vielleicht ist es das Selbstbewusstsein einer 2000jährigen Geschichte des Ortes, die da mitschwang. Denn unter dem Anwesen der Winzerfamilie befindet sich ein Teil der Windesheimer villa rustica, der sogenannte „Römerkeller“. Matthäus Merian hatte die römische Villa schon 1645 erstmals beschrieben. Das originale Mauerwerk dieses römischen Kellers aus dem zweiten oder dritten nachchristlichen Jahrhundert ist noch heute erhalten. Einst wurden hier die Vorräte der spätantiken Gutsbesitzer gelagert. Reste von Amphoren bezeugen, dass auch Weine und Öle aus Gallien und Spanien eingelagert wurden. Noch heute dient der Römerkeller als stimmungsvolle Kulisse für ansprechende Weinverkostungen.
Barrierefrei und zeitgenössisch sollte es in der Vinothek über dem Keller zugehen. Die Rüdesheimer Innenarchitekten vom Büro i21 setzten in ihrem Raumkonzept auf eine klassisch reduzierte Gestaltung und die beinahe rahmenlose Öffnung der raumhohen Fensterelemente. Wenn man sie über die beiden Seiten der Gebäudeecke öffnet, scheint die Decke der Vinothek frei zu schweben. Weder Stütze noch Rahmen markieren dann die Grenze zwischen Innen- und Außenraum. Wie so viel Leichtigkeit möglich ist, wird sich mancher Besucher fragen. Bei nächtlicher Beleuchtung zerfließen ebenfalls die Grenzen zwischen Innen- und Außenraum.
Wenige, kalkuliert gestaltete Einbauten lenken im Raum vom Weingenuss ab. Das schwebende Zentrum bildet die aus heimischem Holz gefertigte Verkostungstheke, die nur in einem einzigen Punkt einen kleinen Tribut an die Schwerkraft leistet. Wandflächen, Decken und Boden zeigen einen hellen Sandton, der auf die Bodenbeschaffenheit an der Nahe verweist. Und auch das Schieferelement zur Flaschenpräsentation spielt auf die Typizität der Böden an, auf denen die Reben des Weingutes wachsen.
Einen farblichen Akzent setzt die Spätburgunder farbeneRückwand, die auf die Burgunder als Kernkompetenz des Weingutes verweist.
„…von unseren Gästen aller Altersgruppen begeistert angenommen. Das Gesamtbild wird mit Kommentaren wie ‚wow‘, ‚super‘ und ‚absolut gelungen‘ kommentiert… Durch das beinahe vollständige Verschwinden der Fensterflächen bekommt der Gast den Eindruck, im Freien zu sitzen…“
Die Wurzeln des Windesheimer Weingutes Poss reichen bis ins späte 19. Jahrhundert zurück. 1979 erwarb die Familie das Grundstück am Ortsrand von Windesheim, auf dem auch die neue Vinothek an das bestehende Wohnhaus angebaut wurde. Hier in der „Goldgrube“ schlägt das Herz des Weingutes, das zu gut 85 Prozent auf die Rebsorte Burgunder setzt. Der vollständig selbst vermarktende Familienbetrieb erzeugt auf 11 Hektar Anbaufläche rund 60.000 Flaschen Wein pro Jahr. Gutsweine, „S“-Weine und Lagenweine bilden das Angebotsspektrum. Karl-Hans und Harald Poss haben das Weingut im Jahr 2000 übernommen. Schon in den späten 80er Jahren begann die Aussiedlung des Betriebes und sein Ausbau in mehreren Abschnitten. Als Nächstes steht die Gestaltung des Innenhofes auf der Agenda.
Die römische Villa, die sich auf dem Anwesen der Familie Poss befindet, geht auf die Periode vor der Völkerwanderung zurück, als Windesheim zum römischen Reich gehörte. Mit der einheimischen keltischen Bevölkerung gab es damals offenbar gute Kontakte, sie importierte sogar die römische Lebenskultur. Die villa rustica in Windesheim ist seit den 80er Jahren luftbildarchäologisch erfasst und konnte bisher in kleinen Teilen auch feldarchäologisch untersucht werden. Erlebbar ist nun der Römerkeller unter der Vinothek.