16. Juni 2014

Mehr GastHäuser

Fassade des Dorfladens mit großer Fensterfront.
Burgeis Dorfladen
Foto: Jürgen Hill

Sommer – Sonne – Ferienarchitektur: Vorstandsmitglied Jürgen Hill stellt in der Juli-Ausgabe des Deutschen Architektenblattes die neue Initiative der Architektenkammer Rheinland-Pfalz Tourismus und Architektur vor.

Der Wein hat es geschafft, nun ist der Tourismus an der Reihe - so könnte man, knapp gefasst, ein neues Etappenziel in Sachen Baukultur umreißen. Reisen, bis in die 50er Jahre des vergangene Jahrhunderts ein strapaziöses Vergnügen für wenige Wohlhabende, ist in den letzten 50, 60 Jahren zum Allgemeingut für beinahe jedermann geworden. Das Bauen für den Tourismus spiegelte und spiegelt - im Guten wie im Schlechten - auch diese Entwicklung.

Einst bereisten William Turner und Victor Hugo das Mittelrheintal, besuchten romantische Burgen und Schlösser, pittoreske Städtchen und Gasthäuser, zeichneten und erzählten Landschaften, die in der künstlerischen Überhöhung Unvergleichliches, authentische und einzigartige Erlebnisse versprachen und viele andere Gäste anzogen. Das Muster funktioniert heute noch recht gut: Reisekataloge, Fernsehdokumentationen, Zeitschriften und digitale Medien bringen uns Sehnsuchtsorte aus aller Welt nah, wecken Reise- und Entdeckerlust. Wenn wir hinfahren, erwarten wir Landestypisches, Authentisches, Neues und Einmaliges - und zwar genau so, wie wir es aus den Katalogen und Reiseführern schon kennen.

Paradoxe Erwartungen an Essen und Trinken, Landschaften und das Wetter, Straßen und Plätze, an Architektur und die Orte, mit denen der Reisende zuerst und am intensivsten in Berührung kommt: Hotels und Gaststätten. Erstaunlich genug ist, dass es manchmal gelingt, bei aller Künstlichkeit der Urlaubswelten das Eigentliche, das regional Verwurzelte herauszuarbeiten oder sogar neu zu kreieren. Schon wieder sind uns die Alpenländer und auch Skandinavien ein paar Schritte voraus. Wo Italien und Norwegen Vorbilder sind, spielt das Bauen eine große Rolle. Jenseits von Bettenburgen mit applizierten Versatzstücken alpiner Gemütlichkeit wächst zwischen Allgäu und Meran oder an norwegischen Fjorden einmal mehr eine anspruchsvolle Tourismuskultur, die Gedanken der Slowfood-Bewegung mit dem Bauen und der Baukultur ihrer Regionen verbindet. Gesucht wird nach Bildern des Regionalen, die sich nicht in historisierende Attituden von Almöhis im Heidiland flüchten, sondern Prinzipien einer bäuerlichen, aus den Wirtschaftsformen und der Kulturlandschaft entwickelten Baukultur aufgreifen.

Wie zeitgenössisch das aussehen kann, zeigt beispielsweise die Ausstellung „Alpen - Architektur - Tourismus“ im „Kunst Meran - Merano Arte“ bis zum 7. September. Kuratiert von Susanne Waiz „wird Architektur für den Tourismus gezeigt - von der einfachen Pension bis zum gediegenen Hotel, von der Seilbahnstation bis zur Schutzhütte. Die Auswahl der Projekte erfolgt aus dem Blickwinkel der Architektin. Die gestalterische Qualität der Beispiele und ihr Bezug zu Landschaft und Gebautem stehen im Vordergrund, während die landläufigen Qualitätsstandards des Gastgewerbes ausnahmsweise nicht kommentiert werden.“ Im Architektur-Tourismus Dialog treffen Gastwirte Architekten - ein wunderbares Konzept - viele Akteure sind dabei. Genauso hat es mit Wein und Architektur in Rheinland-Pfalz funktioniert. Vier Symposien und drei Preise haben gezeigt, was möglich ist, wenn so unterschiedliche Professionen wie Winzer und Architekten die Zeichen der Zeit erkennen.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben viele rheinland-pfälzische Urlaubsregionen eine erste Investitionswelle erlebt. Lange Zeit waren die Gäste treu, trotz des schon lange unübersehbaren Investitionsstaus. Womöglich ändert sich das gerade. Andere Regionen, zuerst, aber nicht nur im Alpenraum, entdecken Qualität und anspruchsvolle Gäste neu. Der DEHOGA hat errechnet, dass in den kommenden Jahren bis zu 60 Prozent aller Betriebe in Rheinland-Pfalz - Hotels und Gaststätten - vor der Nachfolgefrage stehen. Wo nicht die Schließung droht, wird investiert - eine gute Chance für mehr Baukultur und einen Aufbruch, der das Mittelrheintal und die Mosel, den Hunsrück und die Eifel, Rheinhessen und die Pfalz wieder zum Wunschziel, zur Marke machen könnte. Jede lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt, sagt man. Gehen Sie mit, am 5. Mai 2015 (Achtung: neuer Termin!) findet das erste Symposium „Tourismus und Architektur“ statt. Unter dem Titel „Neue Tische - Neue Betten“ wird durchgelüftet. Es geht um zeitgenössische Häuser und Innenarchitekturen für Gäste, Gasthäuser eben.

   

Archivbeitrag vom 16. Juni 2014