29. März 2003

Wahlprüfsteine 2003

Krach im Gebälk: Architekten und Ingenieure diskutieren mit den baupolitischen Sprechern und Fraktionsvorsitzenden die gemeinsam von Architekten- und Ingenieurkammervorgelegten Wahlprüfsteine

Wahlprüfsteine: Architekten- und Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz haben gemeinsam Wahlprüfsteine formuliert und sie den im Landtag vertretenen Parteien zur Stellungnahme übermittelt. In der Diskussionsrunde am 15. Februar standen die baupolitischen Sprecher und Fraktionsvorsitzenden Rede und Antwort. Die schriftlichen Antworten finden Sie hier in einer Synopse einander gegenüber gestellt. Über die Diskussion informiert der nachstehende Bericht.

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Es ist seltsam: Seit einigen Wochen wird in Deutschland wieder öffentlich über Baukultur geredet. Genauer seit dem 2. Januar, als im bayerischen Bad Reichenhall eine Eissporthalle unter ihrer Schneelast zusammenbrach. Die Tragödie hat eine hysterische Debatte ausgelöst: Plötzlich lauert überall Gefahr, sind Dächer einsturzgefährdet, Tragwerke unterdimensioniert, Brücken marode. Und Politiker überbieten sich mit Vorschlägen, um die öffentliche Sicherheit wieder herzustellen. Wenn der Winter vorbei ist und der Schnee geschmolzen, wird vermutlich kein Hahn mehr danach krähen.

Dabei sind ächzende Dachbalken nur ein winziger Teil des Problems, unter dem die Baukultur leidet. Denn in der gesamten Branche kracht und knartscht es gewaltig: mangelnde Zahlungsmoral, ausufernde Bürokratisierung, massiver Wettbewerb. Für Architekten und Ingenieure geht es ums Überleben. Dabei sind die Herausforderungen groß: das Altern der Gesellschaft, die Umwidmung von Industrie­brachen, steigende Energiekosten, Suburbanisierung und Zersiedelung erfordern nachhaltige Lösungen in Architektur und Städtebau.

Was kann die Politik tun, um diese Probleme zu bewältigen? Darüber debattierten Politiker aller im rheinland-pfälzischen Landtag vertretenen Parteien auf dem landespolitischen Forum am 15. Februar in Mainz. Architekten- und Ingenieurkammer hatten eingeladen, um den Politikern auf den Zahn zu fühlen. Einen besseren Ort für die Veranstaltung hätte man nicht finden können: das Kesselhaus im Zollhafen, 1837 erbaut, ein Denkmal industrieller Baukultur. Die Stadtwerke Mainz wollen die einstige Energiezentrale zu einer Kunsthalle umbauen, während der Hafen selbst in naher Zukunft die Stadt erweitern wird - mit Wohnungen, Gewerbe, Dienstleistungen, Gastronomie und Kultur. Ein Ort mit Symbolgehalt.

Der Präsident der Ingenieurkammer Hubert Verheyen fasste in seiner Begrüßungsrede die wichtigsten Forderungen zusammen. Im Bezug auf das Unglück in Bad Reichenhall sprach er sich gegen unnütze Bürokratie und Schnellschüsse aus. Der Vorschlag der Kammern: alle drei Jahre eine Sichtkontrolle, alle sechs Jahre ein größerer Gebäudecheck.

Mehr Sicherheit ohne zusätzliche Paragraphen - so sah es auch CDU-Politiker Wirz. Die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Bauleiters sei ein Fehler gewesen, der in der nächsten Wahlperiode ausgemerzt werden sollte. „Sicherheitsmängel müssen vorrangig saniert werden, wenn nötig über erneute Kreditaufnahme“, forderte er. Auch die Sicherheit von Brücken stand zuletzt in der Diskussion. „Wir haben hier einen erheblichen Sanierungsbedarf“, sagte Grünen-Politikerin Thomas. Bevor man in neue Rheinbrücken investiere, müssten zunächst die alten saniert werden.

Ein weiterer Schwerpunkt sei die Sanierung öffentlicher Gebäude: „Sanierung geht vor Neubau.“ Das fand auch Gerd Itzek (SPD). Mit Blick auf die demografische Entwicklung forderte er, Wohnungen generell alten- bzw. behindertengerecht zu planen. Werner Kuhn (FDP) mahnte dagegen zur Sparsamkeit: „Den Haushalt weiter zu belasten ist der falsche Weg. Wir brauchen Freiraum für Investitionen.“

Woher aber soll das Geld kommen? Auch in Rheinland-Pfalz greifen öffentliche Auftraggeber zunehmend auf Public Private Partnership-Modelle zurück, die jedoch umstritten sind. „Letztlich bedeuten sie ein Stück Neuverschuldung“, kritisierte Kuhn. „Die Vertragspartner sind häufig Generalunternehmer. Der Mittelstand schaut in die Röhre.“ Dabei könnten die Architekten Aufträge dringend gebrauchen. Der Wettbewerbsdruck ist enorm. Jedes Jahr drängen doppelt so viele Absolventen in den Beruf wie der Markt verkraften kann. „Viele junge Menschen werden nach dem Studium direkt in die Arbeitslosigkeit entlassen“, kritisierte der Präsident der Architektenkammer Günther Franz.

„Wenn die öffentliche Hand nicht ein Mindestmaß an Moral beweist, wird man das auch von privaten Bauherren nicht erwarten können“, sagte Günther Franz in seinem Schlusswort. Der faire, transparente Wettbewerb sei mittlerweile eine Ausnahme. „Je mehr Gedanken ein Planer in ein Projekt investiert, umso weniger verdient er.“ Eine Lösung für dieses Dilemma konnte auch die Politik an diesem Abend nicht geben. Es wird wohl ein Weg der vielen kleinen Schritte. Vielleicht hilft langfristig eine alte Architekten-Weisheit: Weniger ist mehr. Weniger Bürokratie, weniger Studienplätze, mehr Wettbewerbe, mehr Qualität, mehr Aufträge für den Einzelnen.

  

Archivbeitrag vom 29. März 2003