02. Juli 2024

Leben ohne Barrieren

Herbert Hofer
Herbert Hofer
Foto: Kirsten Bucher, Frankfurt

Altersgerechtes Wohnen – eine unterschätzte Herausforderung

Das Thema Wohnungsbau ist weiterhin im Fokus aller am Bau Beteiligten. Gerade für Seniorinnen und Senioren ist der Rückgang des Wohnungsbaus eine immer größer werdende Herausforderung. Schon heute fehlen laut einer Studie des Pestel Instituts rund 2,2 Millionen altersgerechte Wohnungen, Tendenz steigend.

Dies könnte die nächste Krise sein, auf die wir nicht genügend vorbereitet sind. Dabei gibt es gute Vorbilder, wie der Blick über die Ländergrenzen hinweg zeigt. In Dänemark beispielsweise existiert seit 1987 ein Wohnungsgesetz,
das den Bau neuer Alters- und Pflegeheime untersagt. Klingt absurd? Ist es aber nicht! Seither werden hier sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft, damit ältere Bürgerinnen und Bürger so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden führen können. Denn die dänische Politik hat erkannt, dass dies nicht nur für die Betroffenen selbst eine gute Lösung ist, sondern auch für die Gesellschaft besser und kostengünstiger.  Unterstützung kommt dabei von Sozialdienstleistern und haushaltsnahen Diensten. Pflege wird nicht mehr zentral, sondern kommunal geregelt. Kostenfreie Hausbesuche bei über 75-Jährigen helfen den Gemeinden, den künftigen Versorgungsbedarf abzuschätzen. Darüber hinaus sind die Kommunen gesetzlich zum Bau altersgerechter Wohnungen verpflichtet. Diese müssen barrierefrei und mit einem Notrufsystem ausgestattet sein. Erst bei fortgeschrittenem Pflegebedarf ziehen Betroffene in Pflegewohnungen oder -heime. Für unterschiedliche Pflegebedürfnisse sind verschiedene Betreuungskonzepte wie gemischte Wohnformen vorgesehen. Zu den wohl verbreitesten zählen die über 200 Seniorenwohngemeinschaften (Seniorbofaellesskaber), die staatlich gefördert werden. Zudem existiert im dänischen Wohnungsbauministerium eine eigene Beratungsstelle für gemeinschaftliches Wohnen. So einfach kann es gehen!

Barrierefreies Bauen begünstigt ein möglichst langes, selbstbestimmtes Leben im eigenen Zuhause.

Barrierefreies Bauen ist also kein Luxus. Vielmehr schafft es eine Verbesserung für alle Menschen – mit und ohne Einschränkungen – und unterstützt das Zusammenleben generationenübergreifend. Barrierefreies Bauen hilft zudem Unfälle zu vermeiden, wirkt präventiv. Je länger jede/r Einzelne selbstständig und würdevoll leben kann, desto besser für alle.

Altersgerechtes Wohnen ist eine unterschätzte Herausforderung für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Wenn das barrierefreie Bauen nicht als gesellschaftliche Aufgabe begriffen wird und seine umfassende bauliche Umsetzung im Wohnungsbau stattfindet, wird die bestehende Versorgungslücke und damit die Wohnungsnot bei älteren Menschen weiter anwachsen. Sich für eine Verbesserung einzusetzen, etwa durch eine gezielte Förderung im Neubau und eine stärkere Berücksichtigung bei Konzeptvergaben, ist nicht nur für die Politik, sondern auch für unseren Berufsstand eine wichtige Aufgabe. Denn barrierefreies Bauen ist nachhaltig, komfortabel für die gesamte Gesellschaft und dient dem Gemeinwohl.