Mit der Neuwahl der Vertreterversammlung im November dieses Jahres geht eine Legislaturperiode zu Ende. 2011 hatte sie begonnen und wir hatten uns als frisch gewählter Vorstand einiges vorgenommen. Am Anfang stand ein offener Workshop. Vorstand und Geschäftsführung wollten die Situation umfassend analysieren, Neues entwickeln und einen Aufbruch gestalten. Wie zu erwarten, trugen wir viele Themen, Unterthemen und Einzelaspekte an einem produktiven Nachmittag zusammen, 96 insgesamt, viel zu viel, um die Arbeit bei allem Elan und allem Ehrgeiz zu kanalisieren. Aus den 96 ersten kristallisierten sich indessen schnell 8 operable Themenfelder heraus: der energetische und der demografische Wandel - besonders im ländlichen Raum -, das bezahlbare Wohnen, der öffentliche Raum, die Einbindung der angestellten und beamteten Kolleginnen und Kollegen, die Kammergruppenarbeit sowie Reformation und Architektur. Alles unterlegt mit einer Verstärkung der Öffentlichkeitsarbeit und eingeordnet in 2 Oberthemen: Das Zugehen auf die Gesellschaft und die gesellschaftliche Verankerung des Berufsstandes, was unseren wachen Blick auf gesellschaftlich relevante Themen und den Beitrag der Architektenschaft dazu voraussetzt. Und - als zweites Oberthema - Baukultur. Die „Baukultur“, das wird in der Rückschau klar, war der Türöffner für Vieles, was in den zurückliegenden knapp fünf Jahren gelang. Zunächst ging es darum, Baukultur als Thema im politischen ebenso wie im gesellschaftlichen Bewusstsein zu verorten, die gesellschaftliche Relevanz und den Mehrwert von Baukultur zu vermitteln. Den Begriff „Baukultur“ verstehen wir dabei in einem umfassenden Sinne, nicht beschränkt auf das Design oder eine „schöne“ Fassade, sondern mit all seinen vielfältigen räumlichen, ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Aspekten. Aktuelle Themen wie Demografischer Wandel, Leerstand, Zuwanderung, Integration oder auch Generationengerechtigkeit und Inklusion können bei einer solchen Definition nicht ohne Baukultur gedacht werden.
Dass unser stetes Werben für und das Einfordern von Baukultur erste Früchte trägt, zeigen viele Einzelaspekte der täglichen Kammerarbeit. Erst im Klein und Groß der berufspolitischen Sacharbeit, bei Stellungnahmen zu Gesetzesnovellen, dem steten Werben um die Aufmerksamkeit mit Veranstaltungen und in der Medienarbeit, mit Gesprächen im politischen Raum wie auf allen Ebenen der Kammer von der BAK bis zu den Kammergruppen im Land, durch Haushaltskonsolidierung und Hochschularbeit oder Verbändegespräche kann schließlich Realität werden, was als großes Ziel zu Beginn formuliert wurde. Also lohnt ein Blick zurück vor der Frage, was schon erreicht wurde und wo wir noch auf dem Weg sind.
Auf Landesebene wäre da der Koalitionsvertrag zu erwähnen. Deutlich wie nie, sind hier unsere Themen verankert: „... Hinzu kommt unser Anspruch nach Ästhetik und Architektur. Deswegen verstehen wir es als unsere Aufgabe, die Baukultur im Land weiter zu fördern und die enge Zusammenarbeit mit den Architekten und dem Zentrum für Baukultur zu suchen...“. Aber auch darüber hinaus kann man schon jetzt feststellen, dass „Baukultur“ inzwischen zu einem häufig benutzten und deutlich positiv konnotierten Begriff geworden ist.
Berufspolitik
In den vergangenen Jahren wurde ein intensiver Kontakt zum Landeskabinett und zu den Fraktionen, zur Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, zu den Struktur- und Genehmigungsdirektionen, zu Landräten und zur Kommunalpolitik, zum Städtetag sowie zum Gemeinde- und Städtebund, zum Landkreistag und zur Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) aufgebaut. Insbesondere mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer und dem Finanz- und Bauministerium - zunächst Dr. Carsten Kühl, jetzt Doris Ahnen - hat sich ein guter, enger Austausch etabliert. Dieser spiegelt sich unter anderem in Kooperationen wie den Wettbewerben „Sozial - Schnell - Gut“ und „Mehr MITTE bitte!“ wider, um nur Weniges zu nennen. In das im Herbst 2015 gegründete Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen Rheinland-Pfalz brachte die Kammer sofort den Vorschlag zu einem Ideenwettbewerb für einen neuen, sozialen Wohnungsbau ein. Unter dem Titel „Sozial - Schnell -Gut“ wurde er ausgelobt und ist jetzt entschieden (mehr auf Seite 23).
Wohnen insgesamt, besonders das bezahlbare, war schon im Oktober 2012 für uns ein zentrales Thema. Bei den „Impulsen für den Wohnungsbau“, einem breit aufgestellten Bündnis, das nach beinahe anderthalb Jahrzehnten abnehmender Wohnungsbautätigkeit ein Umsteuern forderte, hat die Architektenkammer die Sprecherrolle übernommen. Zwei Positionspapiere auf der Höhe der Zeit haben wir mit angeschoben. Heute boomt der Wohnungsbau. Das statistische Landesamt verzeichnet 2015 Baumaßnahmen an 14.651 Wohnungen im Land. Beim Tiefstand 2009 waren das gerade 8.562,. Entsprechend verzeichnet der Berufsstand Umsatzzuwächse.
Erstmals 2013 hat die Architektenkammer gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft rheinland-pfälzischer Wohnungsunternehmen eine Sommerfachreise durchgeführt, auf der sich Finanz- und Bauminister Dr. Kühl sowie Vertreter aller Landtagsparteien, der Verwaltungsspitzen und Bürgermeister über die Herausforderungen, die der demografische Wandel an die Wohnungsbaupolitik stellt, informierten. Fragen der sozialen Wohnraumförderung und der Quartiersentwicklung sowie der Baukultur wurden erörtert. Aufgrund des Erfolgs gab es 2015 eine Neuauflage, diesmal mit der neuen Finanz- und Bauministerin Doris Ahnen und Abgeordneten des Landtages, darunter die CDU-Landesvorsitzende Julia Klöckner.
Mit dem Politischen Sommerfest hat die Kammer einen festen Termin zum Thema „Baukultur“ im politischen Kalender etabliert. Rund 300 Gäste aus Politik, Verwaltung, Medien sowie aus den Bau- und Wohnungsunternehmen nehmen jedes Jahr daran teil. Sie tauschen sich in entspannter Atmosphäre mit Architekten, Stadtplanern, Innen- und Landschaftsarchitekten aus. Das Sommerfest bietet allen Kammermitgliedern eine Plattform, um mit politischen Entscheidungsträgern ins Gespräch zu kommen und für die Interessen des Berufsstandes zu werben. Wie groß die Akzeptanz dieser Veranstaltung ist, zeigen die Gastrednerinnen wie Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Finanz- und Bauministerin Doris Ahnen. Ein weiterer fest zu Jahresbeginn etablierter Termin ist der Jahresempfang der Kammern und der Wirtschaft mit Gastrednern wie Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissar Günther Oettinger. 2014 knüpfte Präsident Reker, der beim Empfang für die freien Berufe sprach, an eine Begegnung mit Oettinger in Brüssel an. Oettinger war damals noch für Energie zuständig und hatte auf die Notwendigkeit, berufspolitische Interessen gerade in Brüssel engagiert zu vertreten, hingewiesen. Neu dazu kam 2015 der Parlamentarische Abend „Kammern in Rheinland-Pfalz“, zu dem unter Federführung der Architektenkammer 17 Kammern des Landes einluden. Bereits im ersten Jahr fanden sich über 200 Gäste aus Politik, Wirtschaft und den verkammerten Berufen ein. Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Vertreter der Landtagsfraktionen von SPD, CDU und Bündnis90/Die Grünen diskutierten mit Vertretern der Kammern über die Ursachen und Auswirkungen des Fachkräftemangels.
Neue Gesetze und Richtlinien
Am 1. August 2015 trat die novellierte Landesbauordnung (LBauO) in Kraft. In das Novellierungsverfahren hatte die Kammer Forderungen eingebracht: Die Wiedereinführung des öffentlich-rechtlichen Bauleiters wurde angeregt, eine flexiblere Stellplatzregelung sowie flexiblere Regelungen bei der Barrierefreiheit vorgeschlagen, der erweiterte Einsatz des Baustoffes Holz unterstützt und die Ansiedlung der unteren Bauaufsichtsbehörde bei den Landkreisen gefordert. Zum größten Teil wurden die Forderungen umgesetzt. Zeitgleich mit der Einführung der novellierten Landesbauordnung hat die Kammer im ganzen Land Seminare angeboten, in denen über die Änderungen informiert wurde.
Ein wichtiges, wenn nicht das zentrale berufspolitische Thema während der vergangenen fünf Jahre war die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI). 2013 trat nach längeren Diskussionen eine Neufassung mit angepassten, höheren Honorarwerten in Kraft. Aufgrund eines Vertragsverletzungsverfahrens der EU-Kommission gewann die HOAI nur zwei Jahre später erneut an Aktualität und Brisanz: Nach Ansicht der Kommission ist die HOAI, insbesondere das verbindliche Preisrecht mit Mindesthonoraren, „marktverzerrend“ und „binnenmarktschädlich“. Die Architektenkammern aller Bundesländer sind gefordert, Argumente zu formulieren, eine gemeinsame Position zu beziehen und auf politischer wie öffentlicher Ebene nachdrücklich für die Rettung der HOAI einzutreten. Die Bundesregierung konnte von der Argumentation der Architekten überzeugt werden und unterstützt diese. Die EU-Kommission hat die Argumentation jedoch nicht akzeptiert und inzwischen die zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens eingeleitet. Die Länderkammern bereiten sich gemeinsam mit der BAK und im engen Austausch mit der Bundesregierung intensiv auf das Verfahren vor dem EuGH vor. Dessen Ausgang ist derzeit ungewiss.
Anfang 2016 wurde das Architektengesetz gleich zweimal geändert. Zunächst mussten die Berufszugangsmöglichkeiten für EU-Bürger und Ausländer aus gleichgestellten Staaten aufgrund der Berufsanerkennungsrichtlinie der EU neu geregelt werden. Mit der zweiten Änderung wurde die Möglichkeit geschaffen, eine Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartGmbB) zu gründen. Ein wichtiges berufspolitisches Anliegen war damit umgesetzt.
Am 18. April dieses Jahres trat das modernisierte Vergaberecht in Kraft. Auch hier musste eine EU-Richtlinie umgesetzt werden. Die VOF und die VOL wurden durch die Vergabeverordnung (VgV) abgelöst. Für Architekten- und Ingenieurleistungen sind zwei Regelverfahren vorgesehen: das bekannte Verhandlungsverfahren und der neu eingeführte wettbewerbliche Dialog. Mit dem neuen Vergaberecht können auch strategische Ziele (z.B. ökologische und soziale) berücksichtigt werden. Die „Förderung der Baukultur“ ist in die Grundsätze für Planungswettbewerbe neu aufgenommen worden. Die Architektenschaft konnte eine zunächst vorgesehene problematische Auftragswertermittlung verhindern. Eine verbindliche Einführung des Planungswettbewerbs ließ sich nicht durchsetzen. Der Marktzugang für kleine und mittelgroße Büros hat sich ebenfalls nicht grundlegend verbessert. Allerdings müssen die geforderten Eignungskriterien entsprechend der Bauaufgabe „angemessen“ sein.
Aktuell liegt ein Entwurf des Bundesjustizministeriums für ein eigenständiges Bauvertragsrecht als Ergänzung zu den werkvertraglichen Regelungen im BGB vor. Dieses sieht zwar nicht die Abschaffung der gesamtschuldnerischen Haftung vor. Jedoch ist geplant, dass Bauherren, bevor sie den Architekten auf Schadenersatz in Anspruch nehmen können, vom Unternehmer erfolglos eine Nachbesserung verlangt haben müssen. Darüber hinaus sieht das Gesetz Verbesserungen bei der Abgrenzung zwischen kostenloser Akquise und vergütungspflichtiger Planung vor. Das Landeswohnraumförderungsgesetz (LWoFG) ist am 1. Januar 2014 in Kraft getreten. Auch hier wurden Forderungen der Kammer aufgenommen: die Zielsetzungen der sozialen Wohnraumförderung wurde um den Aspekt der Baukultur erweitert, als zusätzliche Fördergegenstände sind nun auch städtebauliche Wettbewerbe, als zentrales Instrument der Qualitätssteigerung förderfähig.