Die Krise als Chance zu begreifen hat für Mainz einen besonderen Klang: Die Stadt ist quasi schuldenfrei. Viel Geld und Verantwortung für die Zukunft liegen auf dem Tisch. Stadtentwicklung kann neu gedacht werden: Bio-Tech-Hub, Anpassung an die Folgen des Klimawandels, Wohnraumknappheit, Verkehrswende... Doch wohin steuert die Stadtentwicklung? Am 12. Februar und 5. März werden vermutlich in zwei Wahlgängen die Karten neu gemischt. Dann bestimmt Mainz seinen neuen Oberbürgermeister oder seine erste Oberbürgermeisterin. Alle, die zur Wahl antreten, wären neu im Amt. Beim Diskussionsabend am 23. Januar im Zentrum Baukultur stellten sich Dr. Marc Engelmann (FDP), Nino Haase (parteilos), Mareike von Jungenfeld (SPD), Martin Malcherek (Die Linke), Manuela Matz (CDU) und Christian Viering (Die GRÜNEN) vor vollem Haus den Fragen von AKRP-Vorstand Thomas Dang und Geschäftsführerin Annette Müller. Der siebte Kandidat Lukas Haker (DIE PARTEI) konnte keine Teilnahme möglich machen.
01. Februar 2023
Die Karten werden neu gemischt
Zunächst wurde nach dem Rollenverständnis als künftige Oberbürgermeisterin oder Oberbürgermeister gefragt, bevor die drei Themenfelder Stadtentwicklung, Wohnen und Klimaschutz diskutiert wurden. Nino Haase (parteilos) will mit guten Vorschlägen, Kommunikation sowie einem stetigen Austausch mit den einzelnen Fraktionen (wechselnde) Mehrheiten im Stadtrat gewinnen. Dass das klappen kann, zeigten die derzeit über 35 Prozent parteilosen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland, so Haase. Zudem will er als Bindeglied zwischen Stadtrat, Verwaltung und Bevölkerung künftig verstärkt den Diskurs mit der Bevölkerung suchen. König ohne Land? Das will Martin Malcherek (Die Linke) nicht werden. Auch wenn seine Partei nur vier von 60 Ratsmitgliedern stellt, verspricht er sich doch durch eine klare politische Linie und sachgerechte Politik Mehrheiten generieren zu können. Mit reichlich Oppositionserfahrung tritt Manuela Matz (CDU) an, deren Partei 14 von 60 Plätzen im Stadtrat belegt. Sie sieht sich als Oberbürgermeisterin für alle und steht für Gesprächen mit anderen Fraktionen zur Verfügung. Dr. Marc Engelmann (FDP) möchte als Mensch überzeugen, Mareike von Jungenfeld (SPD) an die Arbeit ihres Vorgängers Michael Ebling anknüpfen und lobte die gute Zusammenarbeit der Koalition. Auf überparteiliche Zusammenarbeit setzt auch Christian Viering (Die GRÜNEN).
Stadtentwicklung
Dass in Mainz dringender Handlungsbedarf besteht, ein ganzheitliches, integriertes Stadtentwicklungskonzept benötigt wird, da waren sich alle einig. Während Matz die Stadtentwicklung zur Chefinnensache erklären will, setzt von Jungenfeld auf Bürgerbeteiligung. Ihr Credo: „Nur zusammen sind wir Mainz“. Gemeinsam mit der Bürgerschaft will sie eine zukunftsfähige Vision für Mainz schaffen, die nicht nur Stadtplanung und Verkehrswege, sondern auch das kulturelle Angebot und die Stadtteile mitdenkt. In diesem Kontext verwies sie auf das Konzept der 15-Minuten-Stadt. Viering plädiert dafür, über die Stadtgrenzen hinaus zu denken und für Rheinhessen attraktive Angebote zu schaffen. Ziel müsse es sein, den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren und damit einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel zu leisten. Dr. Engelmann votiert dafür, die Ortsbeiräte bei der Erarbeitung eines Stadtentwicklungskonzeptes einzubeziehen, denn: „Stadtentwicklung lässt sich nicht auf einem kleinem Plan im Elfenbeinturm machen.“ Malcherek forderte Mainz zu mehr Mut beim Bauen auf. Projekte wie der geplante Neubau des Gutenberg-Museums oder die Umgestaltung der Ludwigsstraße blieben hinter ihren Möglichkeiten, Chancen würden vergeben. Stadtplanung müsse als Querschnittsaufgabe verstanden werden, Umnutzen und Umbauen stets den Vorrang vor Neubauen gegeben werden. „Wir brauchen ein Zukunftskonzept für Mainz, keine Ad-Hoc-Entscheidungen“, konstatierte Haase. Es sei Aufgabe des Oberbürgermeisters, die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.
Wohnen
Mit einem Quiz, bei dem die Gesprächsgäste ihr Mainz-Wissen unter Beweis stellen mussten, wurde zum nächsten Themenblock „Wohnen“ übergeleitet. Angesichts steigender Miet- und Kaufpreise wird bezahlbarer Wohnraum in Mainz knapp. Wie kann dem entgegengetreten werden? Durch Nachverdichtung oder einen neuen Stadtteil?
Unter ökologischen Aspekten sei eine Nachverdichtung im direkten Stadtbereich schwierig, erklärte Matz. Vielmehr müssten die Außenbereiche entwickelt werden. „Bauen, bauen, bauen! Denn mit einem entsprechenden Angebot sinken die Preise am Wohnungsmarkt“, so Matz weiter. Hier sieht sie auch die stadtnahen Gesellschaften Wohnbau Mainz und die Mainzer Aufbaugesellschaft in der Pflicht. 9.000 neue Wohnungen, ein Drittel davon als sozial geförderter Wohnungsbau verspricht von Jungenfeld. Chancen sieht sie insbesondere im Geschosswohnungsbau. Wie seine Vorrednerinnen spricht sich auch Viering gegen einen neuen Stadtteil aus. Mehr Wohnraum will er vor allem durch Aufstockungen im Bestand schaffen. „Menschen Eigentum ermöglichen“ ist die Devise von Dr. Engelmann. Er plädiert für einen guten Mix aus Geschosswohnungsbau, Reihen- und Einfamilienhäusern. Allein schon, damit Mainz als wichtiger Wirtschaftsstandort und Sitz von bioNTech mit Weltstädten konkurrieren könne. Denn Fachkräfte könne man wohl kaum mit Geschosswohnungsbau locken. Dem widersprach Malcherek entschieden: „Um im internationalen Maßstab attraktiv zu sein, muss man nicht auf die Entwicklung nach oben verzichten. Wenn ich an New York denke, denke ich ja auch nicht zuerst an das Reihenhaus!“ Die Stadt, so Malcherek, müsse Grund und Boden kaufen und von der Wohnbau Mainz bebauen und bewirtschaften lassen, um die Grundstücke dem Markt zu entziehen und so die Mietpreisspirale zu stoppen. Wichtig sei es, in den Bestand zu investieren. Auch Haase will investieren, allerdings nicht nur in Nachverdichtung sondern auch in Neubauprojekte. Diese sollen nach Konzept vergeben werden, nicht an den Meistbietenden. Dabei könne Mainz von anderen Städten wie beispielsweise Darmstadt mit dem ausgezeichneten Lincoln-Viertel lernen.
Klimaschutz
Deutschland hat sich verpflichtet bis 2045 klimaneutral zu werden, Rheinland-Pfalz möchte das Ziel bis 2040 erreichen, Mainz bis 2035. Zentrale Bedeutung kommt dabei dem Bausektor zu, der immerhin für 50 Prozent des Energie- und Materialverbrauchs sowie für 60 Prozent des Abfallaufkommens verantwortlich ist. Wichtige Anknüpfungspunkte sahen die OB-Kandidatinnen und Kandidaten im Forcieren energetischer Sanierungen, dem Ausbau von erneuerbaren Energien wie Photovoltaik-Anlagen sowie der Erarbeitung kluger Verkehrskonzept. „Die Stadt muss mit gutem Beispiel vorangehen und ihre Gebäude mit PV-Anlagen ausstatten“, waren sich von Jungenfeld, Matz und Viering einig. Neben gezielten Förderungen in diesem Bereich sei vor allem eine kompetente energetische Beratung von Eigentümern (und Mietern) notwendig. Während Malcharek den ÖPNV ausbauen und Mainz zur autoarmen Stadt machen will, forciert Haase auf ein besseres Parkraummanagement mit einer effektiveren Auslastung der Parkhäuser. Gewonnene Flächen könnten dann entsiegelt, begrünt und beispielsweise in Außengastronomie umgewidmet werden. „Ein Vorbild ist hier die Stadt Tübingen, der es gelungen ist, die Menschen bei der Verkehrswende mitzunehmen“, sagte Haase.
Die spannende, von über 200 Gästen aufmerksam verfolgte Diskussionsrunde schloss mit der Frage, wo sich die Befragten für den Fall, dass sie nicht gewählt würden, sähen. Zum Diskussionsabend hatte die Kammergruppe Mainz/Mainz-Bingen eingeladen. Die Moderation übernahmen Vorstandsmitglied Thomas Dang und AKRP-Geschäftsführerin Annette Müller.
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