26. Januar 2021
HOAI – Nach der Reform ist davor
Warum gibt es eine neue HOAI?
Fett: Genau genommen gibt es keine neue, sondern eine novellierte HOAI, mit der die bisher verbindlichen Höchst- und Mindestsätze abgeschafft wurden. Denn am 4. Juli 2019 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) diese für europarechtswidrig erklärt. Die HOAI als solche wurde aber nicht in Zweifel gezogen, im Gegenteil. Zwei Drittel des EuGH-Urteils heben ausdrücklich die Sinnhaftigkeit der HOAI hervor, die Sinnhaftigkeit der Förderung der Baukultur sowie der Qualität des Planens und Bauens, die Transparenz der HOAI sowie ihren verbraucherschützenden Charakter.
Hätte der Gesetzgeber statt der HOAI-Änderung auch exklusive Vorbehaltsaufgaben für Architekten einführen können, um die Mindestsätze zu retten?
Fett: Um aus Planungsaufgaben Vorbehaltsaufgaben zu machen – bei Architekten ist nur die Berufsbezeichnung geschützt, nicht wie bei Ärzten oder Rechtsanwälten die Berufsausübung – hätten 16 Länderarchitektengesetze und 16 Bauordnungen geändert werden müssen. Das wäre allein schon in der Kürze
der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich gewesen, zumal dem Bund die Gesetzgebungskompetenz fehlt: Architektenrecht und Bauordnungsrecht sind Ländersache.
Im ArchLG und im Begründungstext zur HOAI gibt es nun einen Angemessenheitsbezug. Entsprechen „angemessene Honorare“ einem verbindlichen Mindestsatz?
Fett: Nein, der frühere Mindestsatz war ein Deckel nach unten. Durch Wegfall der Mindest- und Höchstsätze können Honorare jetzt frei verhandelt werden. Das ist Chance und Risiko zugleich für den Berufsstand. Übrigens: Haben sich die Parteien nicht auf ein Honorar geeinigt, gilt das sogenannte Basishonorar als vereinbart.
Das Wegfallen der Mindest- und Höchstsätze ist Chance und Risiko zugleich für die Architektenschaft.
Ist die angepasste HOAI ein klares Signal gegen Preisdumping und für den Leistungswettbewerb?
Reker: Absolut, ein Angemessenheitsrahmen ist gegeben und die Honorartafeln bieten weiterhin eine gute Orientierung. Letztlich liegt es an uns Architekten selbst, kein Preisdumping zu betreiben.
Rind: Stimmt, aber leider kommt es bei Bieterverfahren teils zu Abschlägen von 15 bis 20 Prozent unter dem Mindestsatz. Wir orientieren uns immer an den Basissätzen und werden diese keinesfalls unterschreiten. Qualität hat schließlich ihren Preis.
Kein Preisdumping, denn Qualität hat ihren Preis.
Nicht der Preis ist die Maxime. Wichtiger sind für uns Termintreue und (Bau-)Qualität.
Welche neuen Anforderungen kommen auf Planerinnen und Planer zu?
Rind: Verhandlungsgeschick und Überzeugungsarbeit gewinnen an Bedeutung, zumal wir verpflichtet sind, Verbraucher auf die Möglichkeit hinzuweisen, eine höhere oder niedrigere Vergütung als von der HOAI empfohlen zu vereinbaren.
Die Honorarvereinbarung ist nun auch in Textform, also per E-Mail, möglich und kann jederzeit herbeigeführt und nachträglich noch verändert werden. Vereinfacht dies die Praxis?
Rind: Nein, ich rate jedem meiner Kollegen zu Beginn eines Projektes, Preis und Aufgabenfelder mit so viel Tiefenschärfe wie möglich abzustimmen, damit nicht während des Bauprozesses immer weiterverhandelt werden muss. Vertrag kommt von vertragen und die Basis dafür setzt man am Anfang!
Jost: Da kann ich mich Herrn Rind nur anschließen. Der Vertragsabschluss sollte immer vor Leistungserbringung erfolgen. So sieht es auch das neue Vertragsmuster Bund vom Dezember 2020 vor. Das vereinbarte Grundhonorar bildet eine gute Vertragsgrundlage, die noch um besondere Leistungen oder Änderungsplanungen ergänzt werden kann.
Was ändert sich für die öffentliche Hand?
Jost: Für uns hat sich nicht viel geändert, wie die eineinhalb Jahre Erfahrung seit dem Wegfall der Mindestsätze im Sommer 2019 zeigen. Wir sind angehalten, nur angemessene Angebote bei Vergaben zu berücksichtigen. In der neusten Fassung der RBBau vom Dezember 2020 ist sogar noch der Begriff Mindestsatz aufgeführt: Es gilt der Basissatz, ehemals Mindestsatz.
Wie wollen Sie als öffentlicher Auftraggeber verhindern, dass künftig der Preis über die Vergabe von Planungsleistungen entscheidet?
Jost: Durch Leistungswettbewerbe. Es geht nicht einfach darum, eine Bauaufgabe abzuarbeiten, sondern um Baukultur. Nicht der Preis ist die Maxime. Wichtiger sind für uns Termintreue und (Bau-)Qualität. Wir realisieren viele große Gebäude wie Universitäten, Krankenhäuser und Dienststellen. Da steht viel Personal dahinter, das die neuen Gebäude auch termingerecht beziehen möchte.
Nach der Novelle ist vor der Novelle: Es bedarf einer Anpassung der Honorartafeln und Leistungsbilder.
Ist nach der Reform vor der Reform?
Reker: Es ist ein stetiger Prozess, der berufspolitisch begleitet werden muss. Vor allem, weil jeder die Sinnhaftigkeit der HOAI anders bewertet: Sie könnte sein, sie müsste sein, sie sollte nicht sein... Ein kontinuierliches Ringen um die HOAI. Und mit jeder politischen Couleur kommt eine andere Meinung. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD, 2002-2005) wollte sie einst ganz abschaffen. Zum Glück konnten wir das verhindern. Die Rettung der HOAI, für die BAK, Bundesingenieurkammer, AHO und Verbände gemeinsam gekämpft haben, ist ein großer politischer Erfolg. Jetzt müssen wir an eine Novellierung ran, denn die minimalinvasive HOAI 2021 ist eine Übergangs-HOAI, den strikten Zeitvorgaben aus Europa geschuldet. Es muss evaluiert werden, wo die Mängel sitzen. Wie sieht es etwa bei der Mitverarbeitung von Bausubstanz aus? Und wie bei langfristigen Planungs- und Bauleistung noch zu alten Konditionen? Ein eiterer spannender Punkt ist BIM, das den in der HOAI beschriebenen linearen Arbeitsprozess nachhaltig verändert. Inwieweit wird es in gesetzliche Vorgaben eingreifen – Stichwort Urheber- und Verfahrensrechte? Eine Anpassung der Leistungsbilder ist ebenso gefordert wie eine Dynamisierung der längst überholten Tafelwerte. Nach der Reform ist also vor der Reform.
Vielen Dank für das Gespräch.