16. Oktober 2014

Ist das Architektur oder kann das weg?

Edda Kurz
Vizepräsidentin Edda Kurz
Foto: Heike Rost, Mainz

Edda Kurz, Vorstandsmitglied der Architektenkammer, fordert in der November-Ausgabe des Deutschen Architektenblattes mehr Wertschätzung für bestehende Gebäude. 

Am 14. September 2014 fand der Tag des offenen Denkmals statt. In Rheinland-Pfalz waren rund 300 historische Gebäude zu besichtigen, und der Besucherandrang war wie jedes Jahr groß. Dabei wurden nicht nur Gebäude der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, die ansonsten verschlossen sind, auch die bekannten Größen der historischen Baukultur wurden durch fachkundige Erläuterungen, Darstellungen von neuen Forschungsergebnissen oder Führungen zum Sonderthema Farbe neu erschlossen. Unumstritten ein baukulturelles Ereignis, das in den Besucherzahlen alljährlich seine Anerkennung und Wertschätzung findet. Dabei ist zu beobachten, dass die Beschäftigung mit den überlieferten Zeugnissen von Städtebau, Gebäuden und Kunstwerken die Menschen fasziniert, das Interesse ist seit Jahren ungebrochen.

Durchblättert man jedoch das Programmheft in Rheinland-Pfalz, so fällt auf, dass gerade einmal ein Prozent der angebotenen Führungen und Besichtigungen Baudenkmäler der Nachkriegszeit betrifft: das Mainzer Rathaus von Arne Jacobsen aus dem Jahr 1973, das Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen von 1979, genauer gesagt, seine Keramikfassade von Joan Miró, und die Lutherkirche von Otto Bartning, 1948 in Mainz erbaut, sind die einzigen Beiträge im Gesamtprogramm, die nach 1945 entstanden sind.

Nicht nur die Tatsache, dass der Anteil der anerkannten und als sehenswert eingestuften Denkmäler der letzten 70 Jahre zahlenmäßig verschwindend gering ist, auch der Fakt, dass sie durch die Aufnahme in die Denkmalliste noch keineswegs als für die Nachwelt gesichert angesehen werden können, macht nachdenklich. Beim Mainzer Rathaus, unumstritten einem Leitbau der Nachkriegsmoderne von internationalem Rang, wurden anstehende allfällige Sanierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen zum Auslöser einer Diskussion um die Erhaltung des Gebäudes schlechthin. In der Presse wurde von Bürgern aber auch aus den Reihen der Politik in Betracht gezogen, das Jacobsen-Gebäude abzureißen und an einem neuen Standort ein einfaches Bürogebäude als Stadtverwaltung zu bauen. Diese Diskussion in Mainz ist mittlerweile vom Tisch - in Ludwigshafen für das BASF Hochhaus der Architekten HPP Hentrich, Petschnigg und Partner von 1957 kam jedoch jede Einsicht zu spät. Am 12. August 2013 begann der Abbruch, der einem neuen Büroturm Platz machen soll.

Aber es geht nicht nur um die Architekturhöhepunkte, um Rathäuser und Hochhäuser, es geht auch um die Gebäude des täglichen Lebens, denen eine immer kürzere Halbwertszeit zugestanden wird. Schulen und Bürgerhäuser aus den 1970er Jahren, Kindergärten aus den 1980er Jahren und vielen anderen Gebäuden spricht man aktuell die Sanierungsfähigkeit ab. Die Kosten für Bauunterhalt und die Anpassung der energetischen Standards werden auf fragwürdige Art gegengerechnet mit BKI-Baukostenwerten für Neubauten. Dabei wird oftmals übersehen, dass diese rechnerischen Fläche-mal-Baukostenrichtwert-Gebäude nicht die gleiche Wertigkeit besitzen, wie das zu sanierende Objekt. Ein Schulbau mit zentralem Atrium und räumlicher Qualität wird einem Zweibund mit innenliegendem Flur gegenübergestellt, eine individuell entworfene Kindertagesstätte mit Identifikationscharakter einem vorgefertigten Modulbauwerk. Wohnhäuser aus den 1960er und 1970er Jahren werden abgerissen, weil die Phantasie zum zeitgemäßen Umbau fehlt. Lieber lässt man stattdessen ein Bauträger- oder Fertighaus errichten, dass zwar stereotype Bilder von klischeehaften Wohnvorstellungen im Prospekt liefert, tatsächlich aber individuelle Konzepte oder Anpassungen an Vorhandenes unmöglich macht.

Zum einen wird bei diesen Betrachtungen völlig außer Acht gelassen, welcher energetische Wert sich in den Primärkonstruktionen dieser Gebäude verbirgt. Beim Abbruch werden nicht nur die verbauten stofflichen Ressourcen, sondern auch die sogenannte graue Energie für Materialgewinnung, Bauteilherstellung, Transporte und Montagen achtlos geopfert. Letztendlich, weil diese gesamtheitliche Betrachtung abstrakter ist als die eigene Stromrechnung.

Mindestens ebenso bedeutsam ist jedoch die Tatsache, dass wir mit diesem kurzfristigen Umgang mit zeitgenössischen Gebäuden, die unsere Generation baut und die damit unser Kulturprodukt darstellen, einen Traditionsbruch verursachen. Wenn wir unsere Beiträge zur Stadtgestalt, und das sind nicht nur die mit Preisen ausgezeichneten Einzelbauwerke, sondern das ist die Gesamtheit des architektonischen Schaffens, in einem Rhythmus von 30 bis 40 Jahren ausradieren, dann werden zukünftige Generationen kein Programm zum Tag des offenen Denkmals mehr zusammenstellen können.

    

Archivbeitrag vom 16. Oktober 2014