24. Oktober 2018

Lebenslanges Lernen | Eine Frage der Ehre

Kammerpräsident Reker
Foto: Heike Rost, Mainz

Über „Lebenslanges Lernen“ kann man trefflich streiten. „Lernen ist Erfahrung. Alles andere ist einfach nur Information“, sagte Albert Einstein. Doch ist das so einfach? Reicht die tägliche Erfahrung tatsächlich aus?

Die „Freien Berufe“ eint ein besonderes Ethos und eine besondere gesellschaftliche Verantwortung. Bei den Architekten fließt die antike Vorstellung der „artes liberales“ mit dem emanzipatorischen Gedanken eines erwachenden Bürgertums zusammen. Es hatte sich im 19. Jahrhundert Freiheiten erkämpft und Verantwortung übernommen – ein untrennbares Doppel nach dem Grundverständnis eines Berufsstandes, der dem Gemeinwohl verpflichtet ist, und diese Verpflichtung eigenverantwortlich und unabhängig auf der Grundlage profunden Fachwissens einlöst. Wer diesen Gedanken ernst nimmt – sei er tatsächlich freiberuflich oder angestellt und beamtet tätig – versteht die Qualifikation als Eintrittskarte in den Beruf.

Ein zweites: Unsere Leistungen sind immateriell. Damit unterscheiden sie sich fundamental von Waren jeglicher Art. Letztendlich arbeiten wir in Vertrauensgütermärkten, in denen die freiberufliche Dienstleistung durch eine Informationsasymmetrie zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger bestimmt ist. Und es geht um existenzielle Fragen von Leben, Gesundheit, Recht, baulicher Sicherheit oder wirtschaftliche Fragen. Dieses Privileg ist nur wenigen anderen Berufsgruppen zugestanden.

Deshalb müssen wir im Freien Beruf besonderen fachlichen und ethischen Anforderungen genügen. Und unsere Bauherrn müssen sich im Sinne der asymmetrischen Informationsverteilung auf einen aktuellen Kenntnisstand verlassen können. So buchstabiert sich Verbraucherschutz.

In nahezu allen Mitgliedstaaten der EU sind Freiberufler zur regelmäßigen Fortbildung (Continuing Professional Development) verpflichtet. Es ist Aufgabe der Freien Berufe und ihrer Berufskammern eine effektive Weiterbildung aller Berufsangehörigen sicherzustellen.

Heute geht man von einer „Halbwertzeit“ des Wissens von fünf Jahren aus.
Gerold Reker

Seit Anfang 2017 wurde die Überprüfung in Rheinland-Pfalz Pflicht. Im Mai 2018 hat die Kammer erstmals von jedem zehnten Mitglied Nachweise gefordert. Mancher Kollege und manche Kollegin tut sich noch schwer – wie ich hoffe, nur mit dem formalisierten Nachweis.

Denn heute geht man von einer „Halbwertzeit“ des Wissens von fünf Jahren aus. Altes Studienwissen und langjährige Erfahrung, zusammengegoogelte Informationshäppchen und ein paar Zeitschriften reichen nicht aus, um unserer Verantwortung gerecht zu werden. Das sollten wir verstehen und danach handeln. Dann wird aus dem „Muss“ das, was es eigentlich ist: Eine Frage der Ehre.

 

Archivbeitrag vom 24. Oktober 2018