Ein halbes Jahr ist es nun her, dass der Lockdown unsere gewohnten Abläufe bremste, unser Lebensumfeld radikal und plötzlich veränderte und viele unserer Aktivitäten und Planungen stoppte.
Die veränderten Bedingungen für das Miteinander in der Gesellschaft haben eine räumliche Dimension – Menschen bewegen sich in Zeiten der Pandemie anders im Raum. Das bedingt andere Bewegungsflüsse und Funktionsabläufe, veränderten Platzbedarf und Konfliktpotential im gemeinsam genutzten Freiraum.
Das Arbeiten zuhause und der Verzicht auf Besprechungsmarathone, Meeting-hopping und Business Trips hat viele Menschen betroffen, auch uns Planer. Diese Erfahrung der veränderten Mobilität – weit über den Beruf hinaus – sollte Anlass sein, planerische Grundfragen aller Maßstäbe zu überdenken.
Was wäre, wenn die Trennung von Wohnen und Arbeiten weit weniger grundlegend gedacht würde, wie sie spätestens seit der Charta von Athen unser stadtplanerisches Denken bestimmt? Die räumliche Trennung hat sich tief verankert in unserem Bewusstsein, im persönlichen Unterscheiden zwischen Arbeits- und Freizeit – doch beides ist Lebenszeit! Dagegen setzt auch die modische Work-Life-Balance voraus, dass es sich um zwei unvereinbare Pole handelt. Tatsächlich wäre aber das Ziel, zu einem ganzheitlichen Lebensentwurf zurückzufinden. Dazu benötigen wir Räume, die diese Möglichkeiten bieten.
Welche Qualität hätte es, wenn Wohnen und Arbeiten räumlich verbunden wären – ob im Gebäude oder im Quartier? Zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, auf dem Nachhauseweg einzukaufen, mittags zuhause zu essen, das macht einen ganzheitlichen Tagesablauf aus. Unsere Planungsaufgabe wäre es, die 15-Minuten-Stadt zu denken. Dann wären auch die öffentlichen Räume der Städte wieder mehr als nur die Verkehrsadern zwischen der Bebauung. Sie wären Aufenthaltsbereiche in der quartiersbezogenen Stadt. Stadtumbau, Infrastruktur- und Mobilitätskonzepte, Gestaltung öffentlicher Räume sind die Themen, die es jetzt zu entwickeln gilt.
Dabei steht nicht die Arbeit in Büro und Handel alleine im Fokus, auch Lieferketten und Einsatzradien der Handwerker und Bauunternehmen spielen in unserem Handlungsfeld eine große Rolle. Auch hier wäre nach den Erfahrungen dieses Frühjahrs mehr Nähe sinnvoll. Der Konflikt der vielbeschworenen Regionalität mit der Realität des Vergaberechts, das den Auftragsumfängen in vielen Bereichen nicht angemessen ist, ist offenkundig.
Und wie sehen unsere Arbeitswelten der Zukunft – jenseits von Arbeitsstättenverordnung und Flächenoptimierung – aus? Wie sehen Büros aus, wenn die Arbeit sich vom Ort emanzipiert? Es gibt hierfür spannende Konzepte, diese gilt es weiterzudenken, denn innovative Büroarbeitswelten können sicherlich nicht nur mit hochpreisigen Designmöbeln der Marktführer realisiert werden.
Diese grob skizzierten Überlegungen sollen Aufforderung sein, neben den vielen Einschränkungen der Pandemie die Aufmerksamkeit auf neue Verhaltensmuster in Bezug auf Ressourcenverbrauch und Ökologie aber auch Lebensqualität zu richten. Hier könnten, nein müssen, nachhaltige Planungskonzepte ansetzen.
Alles das sind Fragen an Architektur, Stadt- und Freiraumplanung. Alles das sind Aufgaben, denen wir uns stellen sollten.