28. November 2012

Bedarfsgerechter Wohnraum in Rheinland-Pfalz und Mainz

Diskussionsrunde im Zentrum Baukultur: Eine Diskussionsrunde mit Finanz- und Bauminister Dr. Carsten Kühl, Oberbürgermeister Michael Ebling, Kammerpräsident Gerold Reker sowie Vertreterinnen und Vertretern des Mainzer Immobiliengeschehens lotete am 21. November 2012 Wege für mehr bezahlbaren Wohnraum aus.

Das Aktionsbündnis Impulse für den Wohnungsbau, dessen Sprecher Kammerpräsident Gerold Reker ist, hatte für den 21. November 2012 nach Mainz ins Zentrum Baukultur Rheinland-Pfalz zur Diskussionsrunde Bedarfsgerechter Wohnraum in Rheinland-Pfalz und Mainz - Impulse für die Wohnungspolitik eingeladen.

Auf dem Podium diskutierten Bau- und Finanzminister Dr. Carsten Kühl, der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling, der Geschäftsführer der Karl Gemünden GmbH & Co KG, Ingelheim, der Sprecher des Aktionsbündnisses, Gerold Reker, die erste Vorsitzende des Vereins Vis-à-Vis, Karin Stock, und der Geschäftsführer der Wohnbau Mainz GmbH, Thomas Will. Die Runde wurde vom Lokalchef der Mainzer Rhein-Zeitung, Thomas Slotwinski moderiert.

Im Aktionsbündnis "Impulse für den Wohnungsbau" hat sich eine breit aufgestellte Gruppe von zwölf landesweiten Organisationen aus den Bereichen des Planens und Bauens, der Wohnungswirtschaft und der Mieter- und Sozialverbände zusammengefunden. Hintergrund sind die Herausforderungen, denen sich der Wohnungsmarkt zu stellen hat: Nach Auffassung des Aktionsbündnisses wird bezahlbarer Wohnraum wird seit einigen Jahren nicht nur in den Ballungsgebieten knapp. Selbst dort, wo der demografische Wandel bereits in Form von Leerständen erste Spuren hinterlässt, kann - zumindest für einige Gruppen der Bevölkerung - von Entspannung nicht die Rede sein, weil dieses Angebot nicht zum Bedarf passt. MEHR
 


In Mainz herrscht - das belegen sowohl harte Fakten wie auch die Wahrnehmung der Wohnungssuchenden - eine wirkliche Knappheit in allen Segmenten des Wohnungsmarktes. Besonders rar ist naturgemäß bezahlbarer und barrierefreier Wohnraum. Anders als im übrigen Land wächst in Mainz die Bevölkerung weiterhin, so dass auch mittelfristig keine Entspannung zu erwarten ist. Hintergrund und Ziele des Aktionsbündnisses erläuterte Reker zum Auftakt der Diskussionsrunde.

Wie groß der Bedarf ist, belegte Thomas Will, der Geschäftsführer der Wohnbau Mainz GmbH. Ihr Bestand von mehr als 5.000 geförderten und damit im Mietpreis gebundenen Wohnungen wird in Kürze auf rund 3.000 sinken. Auch der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling ist sich des Problems bewusst. Einer der möglichen Wege ist aus seiner Sicht die Nachverdichtung. Ein sensibler Punkt, der in Mainz gerade anhand eines Vorhabens sehr kontrovers diskutiert wurde: Dem großen Bedarf an Wohnungen und einem Mangel an bebaubaren Flächen steht das Interesse der Bewohner an ihrem liebgewonnenen Wohnumfeld gegenüber. Gleichzeitig machte Ebling deutlich, dass Konversionflächen, die sich im innerstädtischen Bereich als Reserven für den Wohnungsbau anbieten, voraussichtlich erst zum Ende des Jahrzehntes frei werden. Ebling und Will waren sich einig, dass mehr bezahlbarer Wohnraum dringend nötig sei und setzten hier auf den klassischen, öffentlich geförderten Wohnungsbau als einen Baustein der Lösung.


Die Gegenposition baute Tim Gemünden, Geschäftsführer der Bauunternehmung Karl Gemünden GmbH & Co KG, die auch mit der Vermarktung von Immobilien im Wohnungsmarkt präsent ist, auf. Er rechnete vor, dass ein aus seiner Sicht geringer Kostenvorteil von rund 72 Eurocent pro Quadratmeter geförderten Wohnraums keinesfalls die Bindungen und Verfahrenswege wert sei, die sich mit der Förderung verknüpfen. Sein Lösungsvorschlag lautete: frei finanzierter Wohnungsbau im mittleren und oberen Segment anzubieten, entspannt den Bestandsmarkt. Günstige Wohnungen werden frei, wenn Menschen, die es sich inzwischen leisten können, in Eigentumswohnungen, Einfamilienhäuser, Mietwohnungen in besseren Wohnlagen oder attraktiverem Umfeld umziehen. Sein Wunsch an die Stadt Mainz war, mehr Bauland für Investoren bereit zu stellen. In der Fehlbelegungsabgabe sah er kein geeignetes Steuerungsinstrument, da schlicht der zusätzliche attraktive Wohnraum, der für einen Umzug nötig ist, fehle.

Den Umweg über das mittlere und obere Preissegment wollten nicht alle auf dem Podium mitgehen. Im Ergebnis für bezahlbaren und bedarfsgerechten Wohnraum zu sorgen, war allerdings allgemeines Anliegen. An Finanz- und Bauminister Dr. Carsten Kühl richtete sich die Forderung nach einem Landeswohnungsbaugesetz und nach einer Anpassung der Förderung des Landes für den Wohnungsbau. Zurzeit werden nicht alle Fördermittel abgerufen. Einerseits sind die Zinssätze am freien Markt so niedrig, dass die Zinsvergünstigungen einen beträchtlichen Teil ihrer Wirkung verloren haben, andererseits decken die erzielbaren und zulässigen Mieten im geförderten Wohnungsbau nicht mehr in jedem Fall die Erstellungskosten. Während der Minister ankündigte, eine Anpassung der Förderinstrumente sei in enger Abstimmung mit der Wohnungswirtschaft ebenso auf dem Weg wie das Landeswohnungsbaugesetz. Sein Blick richtete sich nach Berlin: Für die Wohnungsbauförderung sind seit einigen Jahren die Länder alleine zuständig. Geregelt wurde dies im Entflechtungsgesetz. Dort wurde auch vereinbart, dass der Bund im Gegenzug Mittel an die Länder gibt, die diese wiederum zur Wohnungsbauförderung ausreichen können. Kühl wehrte sich gegen ein Auslaufen dieser Mittel bis 2020. Seine Forderung: stabile Verhältnisse auch darüber hinaus, um die Förderung auf Länderseite zu ermöglichen.


Woher die hohen Baukosten im Neubau wie bei der Sanierung von Wohnungen kommen, war rasch zu beantworten: Energieeffizientes Bauen, Barrierefreiheit und andere Standards sind mit Blick auf den Klimawandel und die demografische Entwicklung der Bevölkerung zwar sinnvoll und richtig, zum Nulltarif aber nicht zu haben. Entsprechende Investitionen kosten Geld. Am Beispiel eines sanierungsbedürftigen Objektes in der Mainzer Neustadt machte Thomas Will klar, dass die entsprechenden Investitionen auf den Mietpreis nicht umgelegt werden können. Nach 40 Jahren stand hier eine Generalsanierung des viergeschossigen Gebäudes an. Schon die energetische Sanierung würde einen Aufschlag von 2,50 - 2,80 Euro pro Quadratmeter auf die Bestandsmieten von 5 bis 6 Euro bedeuten. Die Herstellung von Barrierefreiheit entsprechenden Bädern und Aufzügen würde nochmals zu einem ähnlich hohen Aufschlag führen, im Ergebnis also theoretisch eine Verdoppelung der Mieten.

Die stärkere Förderung energetischer und barrierefreier Sanierungen war einer der vorgeschlagenen Lösungsbausteine. Einen anderen brachte der Oberbürgermeister ins Spiel: Er fragte, ob denn alles saniert werden müsse. Ihm lag daran, einer Verdrängung weniger zahlungskräftiger Bewohner aus ihren Quartieren entgegen zu wirken. Sein Problem: ergänzende Sozialleistungen sind Sache der Kommune. Auch in Punkto Barrierfreiheit sah er nicht alleine beim Bauen die Lösung des demografischen Problems. Vielmehr müsse eine Palette von unterschiedlichen Lösungsansätzen die differenzierten Problemlagen angehen.

Karin Stock, Vorsitzende des Vereins Vis-à-Vis stand für einen vielversprechenden Weg: In Trägerschaft der Wohnbau werden 33 barrierearme und barrierefreie Wohnungen zur Miete für die Vereinsmitglieder - allesamt in der zweiten Lebenshälfte - in einer innerstädtischen Lage mit guter Infrastruktur errichtet. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt gemäß des Bielefelder Modells gegenseitige Hilfe und Unterstützung zu organisieren, um ein selbstbestimmtes Leben im Alter zu ermöglichen.


Gerold Reker nahm dieses Vorhaben zum Anlass, vermehrt Wettbewerbe und Pilotprojekte dieser und ähnlicher Art zu fordern. Die Herausforderungen und Problemlage seien mit den alten Modellen nicht mehr zu bewältigen. Insbesondere der demografische Wandel, stelle neue Fragen, deren Antworten erst noch gefunden werden müssten. Im weit überwiegenden Teil des Landes seien Bestandsinvestitionen für einen generationenfesten Wohnungsbau beispielsweise trotz und neben dem heute schon manifesten oder absehbaren Leerstand nötig. Tragbare und übertragbare Lösungen müssten erst noch entwickelt werden, die entsprechenden Verfahren möchte er zusammen mit dem Land anstoßen.

An Ende der Podiumsrunde kreisten die Fragen aus dem Publikum um Barrierefreiheit, Bezahlbarkeit, spekulative Leerstände und das Thema Wettbewerbe. 

   

Archivbeitrag vom 20. November 2012