29. Januar 2010
Bildung, Regeln, Freiheit und Verantwortung
Seinem Vorredner Professor Dr. Hessenauer zustimmend, sprach sich Gabriel gegen verkürzte Studienmodelle, wie sie in der Bachelor-Master-Systematik gang und gäbe sind, aus. Am Beispiel des Diploms der Architekten und Ingenieure machte er klar, dass man ohne Not eine international anerkannte Marke aufgegeben habe - nur um nun nach und nach festzustellen, dass als Antwort auf die Herausforderungen der Zukuft mehr Bildung und bessere Qualifikationen gefordert seien und nicht weniger. "Wo das Gold im Boden fehlt, braucht man das Gold in den Köpfen," so Gabriel. Nach seiner Auffassung kann Deutschland nur dann erfolgreich seine Zukunft im internationalen Wettbewerb gestalten, wenn alle jungen Menschen gut und sehr gut ausgebildet werden. Mit Blick auf den ersten Redebeitrag des Abends stellte er klar, dass dazu die aktuellen Steuersenkungsdiskussionen der falsche Weg seien. Dringend erforderliche Ressourcen auch und gerade auf dem Bildungssektor von der Vorschulerziehung bis zur Universität fehlten so.
Die Besucherrekorde des vergangenen Jahres wurden diesmal nicht erreicht, dennoch war der Zuspruch von Gästen beim diesjährigen Jahresempfang der Kammern in der Mainzer Rheingoldhalle sehr gut. Rund 3.500 Freiberufler, Handwerker und Unternehmer waren zusammen mit politisch Verantwortlichen aus den Kommunen, von Land und Bund gekommen. Die Verwaltung war ebenso dabei wie Vertreterinnen und Vertreter aus Kultur, von den Hochschulen und aus den Medien. Hauptredner des Abends war Sigmar Gabriel, seit gut zwei Monaten Bundesvorsitzender der SPD. Für die Freien Berufe sprach Professor Dr. Frieder Hessenauer, Präsident der Landesärztekammer. Die Begrüßung übernahm wieder IHK-Präsident Dr. Harald Augter. Seinem Kollegen von der Handwerksammer, Karl Josef Wirges, war das Schlusswort vorbehalten.
Während er sich ausdrücklich für das bestehende Kammerwesen inklusive der Pflichtmitgliedschaften aussprach, warnte er davor, es mit der Deregulierung zu übertreiben. Am Beispiel der Finanz- und Wirtschaftskrise stellte er fest, dass sowohl in Deutschland wie in der übrigen Welt gerade keine Überregulierung vernünftiges Handeln verhindert habe. Im Gegenteil hätten die fehlenden Leitlinien dazu verführt, Finanz- und Realwirtschaft immer weiter zu entkoppeln und eine Blase aufgebaut. Nachdem der erste Schock überwunden sei, dürfe man nun nicht zur Tagesordnung übergehen, sondern müsse dirgend die Regulierungen einführen, die bislang gefehlt haben. Auch eine Finanztransaktionssteuer brachte er dafür ins Gespräch. Dies tue um so mehr Not, als "das Kasino schon wieder geöffnet" habe. Den Nobelpreisträger Paul Krugman zitierte er mit den Worten, Bankgeschäfte müssten wieder langweilig werden.
Aus dem Ethos der freien Berufe heraus, demokratische Selbstverwaltung, freiheitliches Arbeiten und Verantwortung als untrennbare Aspekte eines Ganzen zu verstehen, entwickelte er ein Gesellschaftsbild, in dem der Gemeinschaft und damit dem Staat Aufgaben übertragen werden, die Einzelne in der Mehrheit nicht leisten können. Mit Blick auf die aktuelle Diskussion um die Hartz IV-Gesetze forderte er, Vollzeitbeschäftigte müssten von ihrem Lohn leben können. Einen ausufernden Billiglohnsektor, in dem Menschen dauerhaft Transferempfänger blieben, dürfe es nicht geben. Vielmehr müsse es darum gehen, die Binnennachfrage zu stärken, auch durch höhere öffentliche Investitionen.
Anfang der 70er Jahre hätten die Bruttoinvestitionen noch ein Viertel des Sozialproduktes betragen, inwischen liege der Wert bei weniger als 18 Prozent. In vielen Kommunen lebe man schon aus der Substanz. Daher forderte Gabriel, mit mehr Investitionen den aufgelaufenen Rückstand aufzulösen.
Der Präsident der Landesärztekammer, Professor Dr. Hessenauer, betonte, dass gerade die Freien Berufe von den Ärzten, Apothekern und Architekten bis zu den Wirtschaftsprüfern und Zahnärzten wichtige ökonomische Leistungsträger seien. Sie arbeiten in der Regel regional, bilden überproportional stark aus und binden Beschäftigung in der Region. "Freiberuflichkeit lebt von ihren hohen Qualitätsansprüchen. Eine entsprechende Wertschätzung im Sinne einer angemessenen Vergütung gehört dazu."
Archivbeitrag vom 29. Januar 2010