Wie sieht sie aus, die Post-Corona-Stadt? Lautete eine der fachlichen Fragen des siebten Hambacher Architekturgespräches. Am Anfang jedoch stand die Ehrung Gerold Rekers. Der Präsident der Architektenkammer Rheinland-Pfalz feierte bereits im Frühjahr seinen 70. Geburtstag. Das Hambacher Architekturgespräch gab am 30. September Gelegenheit, die verschobene Ehrung nachzuholen. Finanz- und Bauministerin Doris Ahnen hob in ihrer Laudatio die verlässliche Partnerschaft im Zeichen der Baukultur hervor. Die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, Barbara Ettinger-Brinckmann zielte auf die gesellschaftliche Dimension des Bauens, denn das sei "immer öffentlich", weshalb gerade jetzt "die Stunde der Architekten" schlage.
30. September 2020
Die Stunde der Architekten
Seit 2012 ist Gerold Reker Präsident der Architektenkammer Rheinland-Pfalz. Doris Ahnen bekannte in ihrer sehr persönlichen Laudatio, dass er damit der einzige Architektenpräsident sei, den sie als Bauministerin bisher kennengelernt habe. Sie überbrachte die Glückwünsche der Ministerpräsidentin. "Gerold Reker hat sich sein gesamtes Berufsleben über voll und ganz den Themen Architektur und Baukultur verschrieben. In seinem Werdegang hat er sich in besonderem Maße für seinen Berufsstand engagiert und sich mit großer Leidenschaft für eine Stärkung der Baukultur eingesetzt. Sein Ziel ist es immer, die besten Lösungen für architektonische, baulich-konstruktive und städtebauliche Fragestellungen zu finden und einen sichtbaren Beitrag für die Verbesserung und Weiterentwicklung der gebauten Umwelt zu leisten. Bei alldem ist Gerold Reker als Präsident der Architektenkammer Rheinland-Pfalz ein verlässlicher Partner für die Landesregierung. Bei vielen Anlässen durfte ich Herrn Reker als kompetenten, immer sachlich bleibenden und auch humorvollen Gesprächspartner kennenlernen. Für sein außergewöhnliches Engagement danke ich Gerold Reker und gratuliere ihm herzlich zu seinem 70. Geburtstag", sagte Finanz- und Bauministerin Doris Ahnen.
Bei vielen Anlässen durfte ich Herrn Reker als kompetenten, immer sachlich bleibenden und auch humorvollen Gesprächspartner kennenlernen.
Das Doppelte Lottchen wird 70
Die gemeinsame Wegstrecke im Zeichen der Baukultur rückte Edda Kurz, Vizepräsidentin der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, in den Mittelpunkt ihrer Begrüßung. "Als frisch gewählter Präsident stellte Gerold Reker seine Vision der Kammerarbeit unter dem Titel 'Gemeinsam stark' vor. Lebensmaxime, Versprechen, Forderung an sich selbst und an andere - 'Gemeinsam stark!' war all das und beschreibt darüber hinaus, was unsere Architektenprofession genauso wie Gerold Rekers berufspolitisches Arbeiten erfolgreich macht", so Edda Kurz. Ob dies durch der Fügung des identischen Geburtsjahrgangs der Kammer und ihres Präsidenten geschuldet sei, ließ sie offen. Denn wie das Doppelte Lottchen habe man doch lange nichts voneinander geahnt.
Zum Ankerbegriff und zum theoretischen wie emotionalen Überbau für viele konkrete Forderungen, Interventionen und Einzelprojekte wurde 'Baukultur'. Diesen Begriff mit auf die politische Agenda gesetzt zu haben, darauf darf Gerold Reker zu Recht stolz sein.
Kant und die Baukultur
Seinen Dank für die Glückwünsche verband Gerold Reker mit der Anwendung des Kant'schen Imperativs auf die Baukultur. Weil Bauen, so zitierte er Barbara Ettinger-Brinckmann, immer öffentlich sei, stehe es in gesellschaftlicher Verantwortung, habe Regeln zu folgen, deren allgemeine Anwendung wünschenswert sei. Baukultur als Prozess verbinde Ökologie, Ökonomie, Soziokultur, Nachhaltigkeit, Ästhetik und Kommunikation. Und gerade hier sah er durch das Zentrum Baukultur, aber auch durch zahlreiche regionale und lokale Initiativen inzwischen viel erreicht. Seine Einladung galt daher einer informierten Bürgergesellschaft, sich noch viel stärker in die baukulturellen Debatten einzubringen.
Vom Stil- zum Klimawandel
Zum Festvortrag und zur Lesung waren der Architekturkritiker Nikolaus Bernau aus Berlin und der Schriftsteller Dr. Burkhard Spinnen aus Münster aufs Hambacher Schloss gekommen. Ihnen oblag es, einen Blick auf die Bewertung von Baudenkmalen zwischen 1950 und heute zu lenken: Ab welchem Punkt ist aus konservatorischer Sicht einem Bauwerk ein Zeugniswert für die baukulturelle Entwicklung zuzuerkennen? Und wie gehen Architekten mit dem historischen Kontext der Bauten ihrer Vorgänger um? Ist das Baukunst? Oder kann das weg? Und schließlich: Werden überhaupt die richtigen Debatten geführt? Nikolaus Bernau meinte nein. Nach seiner Wahrnehmung seien es viel zu häufig formale Fragen, die seit den späten 1980er Jahren die Debatten "wie Mehltau" überlagerten. Seine provokante These: Seit mehr als 30 Jahren liegen die relevanten Fragen auf dem Tisch, beispielsweise der Klimawandel. Er rief dazu auf, das schon Gebaute grundsätzlich als Ressource zu verstehen und bevorzugt zu nutzen, statt noch immer zu oft brauchbare Substanz abzubrechen.
Renaissance statt Abriss
Der Autor Burkhard Spinnen machte vier Häuser unterschiedlicher Epochen um einen imaginären Schillerplatz zu Zeugen einer Abriss- und Investorendebatte. Sie kulminierte ebenfalls in der Forderung, die Stilkritik endgültig bei Seite zu räumen und die gewachsene Stadt in ihrer Vielschichtigkeit als sozialen Interaktions- und Lebensraum zu verstehen. Jedes seiner Epochenbeispiele führte eigene Gründe wider den Abriss ins Feld. Während aber der gründerzeitliche Wilhelm noch auf den rettenden Denkmalschutz hoffte, hatte Konrad, die Nachkriegsarchitektur, diesen Status schon erreicht.
Neustadt an der Fräse ein typisch bundesrepublikanischer Anti-Hotspot. (...) Ein Abend am Schillerplatz wird Ihnen eine 10-tägige Rundreise durch die Bundesrepublik ersparen. (...) Hände weg vom Schillerplatz!
Die Stunde der Architekten
Moderiert von Reinhard Hübsch, nahmen die Bundeskammerpräsidentin Barbara Ettinger-Brinckmann und der Präsident der rheinland-pfälzischen Kammer in ihrer Gesprächsrunde denn Ball auf. Gefragt nach den Herausforderungen des Klimawandels, den Konsequenzen und den Lehren der Pandemie für das Bauen, verdichtete Ettinger-Brinckmann die Situation in der Aussage "Es ist die Stunde der Architekten". Reker und Ettinger-Brinckmann waren sich mit Bernau einig in der Einschätzung, dass einiges neu gedacht werden müsse, aber längst nicht alles.
Ein zentrales Anliegen sei die Weiterentwicklung der Stadt. Nicht erst der Onlinehandel, auch das Abwandern des Handels an den Stadtrand und die vom Stadtorganismus abgeschotteten Shoppingmalls entzögen den Innenstädten seit Jahrzehnten Gesellschaft. Dem durch Nutzungsmischung entgegenzuwirken, sei indessen im Rahmen des geltenden Baurechts, beispielsweise der Baunutzungsverordnung schwer, teils unmöglich. Das Leitbild einer dichten und durchmischten Stadt müsse daher gerade im Baurecht wieder verankert werden, damit Ideen, wie Leben in die Städte zurückkommen kann, nicht aus rechtlichen Gründen scheitern.
Innenentwicklung ist eine wichtige Aufgabe.
Plädoyer für die zweite Chance
Vergessen, erinnern und weiterentwickeln stellte Thomas Metz in den Mittelpunkt seines Schlusswortes. Die zweite oder dritte Chance für Denkmäler gebe es auf einem schmalen Grat zwischen der Minimierung von Eingriffen und dem Erhalt durch dauerhafter Nutzung im Prozess eines respektvollen Weiterbauens. Das an der Nahtstelle von baukulturellem Erbe und Zeitgenössischem Bauen gemeinsame mit Gerold Reker entwickelte Formate des Hambacher Architekturgespräches lege wichtige Grundlagen dafür. Mit Blick auf die eben gegründete Baukulturinitiative Deutsche Weinstraße wünschte sich Metz ein Erinnern und Weiterentwickeln - eine zweite Chance eben -für manche inzwischen vergessene Fachdiskussion.
Das Gespräch zum Nachsehen
Erstmals wurde das Hambacher Architekturgespräch als Livestreaming im Internet übertragen und steht weiterhin bei YouTube zur Verfügung. MEHR...
Archivbeitrag vom 30. September 2020