Herr Hof, Sie erstellen Gutachten für die Betroffenen im Ahrtal. Wie stellt sich die Lage vor Ort aktuell dar?
Aktuell sind in den meisten Bereichen, in denen ich unterwegs bin - das ist vor allem in Bad Neuenahr-Ahrweiler - die Straßen geräumt. Man kann sich wieder überallhin bewegen, was am Anfang überhaupt nicht möglich war. In vielen Gebäuden hört man aber noch die Stemmhämmer und anhand der Schuttmassen, die noch immer abtransportiert werden, sieht man, dass der Rückbau und die Entkernung noch in vollem Gange sind. Täglich kommen noch immer über tausend Freiwillige ins Ahrtal. Das ist natürlich eine verschwindend geringe Zahl, wenn man an die Zeit unmittelbar nach der Flut denkt. Aber es ist tatsächlich auch schon sehr viel rückgebaut.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag als Gutachter aus? Wie groß ist die Nachfrage?
Am Anfang gab es natürlich viele Hilferufe, auf die man ad hoc reagieren musste. Es kam beispielsweise ein Anruf „Mein Haus ist gerissen! Da muss mal jemand schauen, ob ich hier überhaupt noch wohnen bleiben kann!“ Da mich tatsächlich aber auch heute noch verzweifelte Anrufe erreichen, von Leuten, bei denen sich noch gar niemand gemeldet hat, denke ich, dass die momentane Situation bestimmt noch zwei bis drei Monate anhalten wird. Die Flut der Antragsformulare übersteigt insgesamt die Kapazität der zur Verfügung stehenden Sachverständigen deutlich und bringt diese natürlich auch an ihre Grenzen.
Welche Aspekte stehen im Vordergrund der Gutachten? Was sind die spezifischen Schwierigkeiten für die Gutachter?
Der Rückbau in Eigeninitiative stellt für uns Gutachterinnen und Gutachter ein großes Problem dar. Man erkennt nur noch in Einzelfällen wie die Beschaffenheit vorher tatsächlich war und muss den Zustand für sich selbst rekonstruieren, beziehungsweise abschätzen. Andererseits wäre es auch nicht möglich gewesen, alle Gebäude direkt nach der Katastrophe zu begehen. Nicht mehr vorhandene Planunterlagen und Versicherungsunterlagen kommen noch erschwerend hinzu. Selbst wenn vorhanden, ist das Zusammenstellen aller Unterlagen auch nicht immer einfach. Hinzu kommt, die Betroffenen sind nicht alle EDV-affin. Ich war beispielsweise bei einem älteren Paar, die beiden waren 82 und 85 Jahre alt, die konnten sich gar nicht helfen. Das war wirklich erschreckend, wie allein gelassen solch ältere Menschen werden. Es wird heute alles online abgewickelt und die entsprechenden Kenntnisse werden vorausgesetzt. Ich habe die beiden dann an den ISB-Berater am Infopoint weiter verwiesen. Dann kommt natürlich auch immer wieder die Frage: „Wann bekomme ich denn eine Förderung?“, aber auch da kann ich dann nur an die Infopoints weiter verweisen.
Man hört immer wieder, dass Sanierungen bereits durchgeführt wurden, teils durch wohlmeinende ehrenamtliche Helfer. Nicht immer wurden die Regeln der Technik eingehalten. Wie gehen Sie als Gutachter mit bereits erfolgten „falschen“ Sanierungen um?
Also erst einmal muss man aufgrund des Schadensumfangs hier im Ahrtal die helfenden Hände unbedingt loben. Natürlich ist aber wegen baufachlicher Unkenntnis vieles auch zurückgebaut worden, was nicht zurückgebaut hätte werden müssen. Beim falschen Rückbau, wenn beispielsweise Heizkörperflächen aufgrund von Unkenntnis unsachgemäß entfernt wurden, dann gehe ich davon aus, dass das ein Schaden ist und den preise ich dann auch in die Summe für den Wiederaufbau ein, zumindest dann, wenn der Rückbau vor dem Erlass der Verwaltungsvorschrift vorgenommen wurde. Umgekehrt, kann ich falsche Maßnahmen beim Wiederaufbau nicht berücksichtigen. Ein Beispiel: ein Bauherr hatte Gipsputz in den Kellerräumen aufgetragen. Da sich aber auch nach dem Trocknen zumeist noch Restfeuchte im Mauerwerk befindet, ist der Gipsputz das falsche Mittel der Wahl, weil er das endgültige Trocknen des Mauerwerks erschwert. Ich muss, wenn Folgeschäden wie zum Beispiel Schimmel zu erwarten sind, sogar darauf hinweisen, dass diese Arbeiten zurückgenommen werden müssen.
Die Gutachten blicken zurück, listen auf, welche Schäden entstanden sind. Darauf gründen die Aufbauhilfen des Landes. In die Zukunft geblickt, gibt es Kostenblöcke, die dort nicht vorkommen (steigende Baukosten, hochwasserangepasstes Bauen, energetisch bessere, weil nach den aktuellen Regelungen zu planende Standards). Wie agieren Sie in diesem Spannungsfeld?
Das ist eine Gratwanderung. Wie gesagt, wir dürfen bei der Begutachtung keine Planung vornehmen. Für den Hochwasserschutz und eine energetische Sanierung wäre jedoch eine Planung erforderlich. Somit gehe ich im Moment mit den Kosten des IST-Zustandes, solange diese rekonstruktionsfähig sind, in die Begutachtung hinein. Die steigenden Baukosten hingegen kann ich berücksichtigen, weil die sich ja jetzt schon abzeichnen. Die Fördermittel werden letztendlich sowieso auf Grundlage der tatsächlichen Kosten ausbezahlt. Grundsätzlich soll ja vermieden werden, dass durch die Sanierung eine Verbesserung des Wohnstandards erreicht wird. Eine Verbesserung der Ausstattung basierend auf dem heutigen technischen Standard und der Rechtslage lässt sich jedoch nicht vermeiden, zumal sich beispielsweise eine Elektroverteilung nur nach den neuesten technischen Erkenntnissen wiederaufbauen lässt. Diese Kosten erfasse ich also in der Gutachtenerstellung. Ohne diese könnte das Gebäude schließlich nicht mehr betrieben werden. Eine weitere Problematik ergibt sich aus dem Bestandsschutz. Einige Bauherren hätten eigentlich schon vor der Katastrophe sanieren müssen, konnten eine solche Sanierung aber wegen des Bestandschutzes abwenden. Eigentlich wären ihnen also schon im Vorfeld Kosten entstanden, die sie jetzt aber geltend machen können. Da gibt es also durchaus gewisse Grauzonen.
Die Gutachtenerstellung und die Sanierungsplanung sind gemäß den Förderrichtlinien zwingend in zwei unterschiedlichen Händen. Beihilferechtlich verständlich, aber wie gehen die Geschädigten damit um?
Hier muss man unterscheiden zwischen Privatpersonen und Gewerbetreibenden, für die Architektinnen und Architekten schon seit langen Jahren tätig sind. Bei den Privatleuten erfolgt der Wiederaufbau der geschädigten Substanz zumeist in Eigenregie beziehungsweise mithilfe von Handwerkern. Eine Architektin oder ein Architekt werden hier nur selten beauftragt. Für die Betriebe hingegen ist diese Vorgehensweise äußerst unverständlich. Arbeitet ein größerer Betrieb über Jahre hinweg mit einem Architektenbüro zusammen und baut Vertrauen zu diesem auf, so wird er auch von diesem das Schadensgutachten erstellen lassen wollen. Genau dieses Büro verfügt möglicherweise auch über die benötigten Bauunterlagen. Dass eben dieses Büro dann aber eigentlich für die weitere Sanierung nicht mehr beauftragt werden darf, das stößt auf vollkommenes Unverständnis. Aber davon mal ganz abgesehen, wenn ich jetzt als vereidigter Sachverständiger unterwegs bin und Schäden aufnehme, dann nehme ich die Schäden nicht auf, um daraus einen Auftrag zu generieren, sondern um die Schadensaufstellung und damit das Antragsverfahren zu befriedigen. Ich fahre nicht zu den Leuten hin mit der Maßgabe „Hey, hier kann ich nachher wiederaufbauen.“ Das wäre absolut unprofessionell und konträr.
Mit wem nehmen Sie im Zuge einer solchen Begutachtung Kontakt auf? Mit wem sind Sie darüber hinaus im Flutgebiet vernetzt?
Im Grunde erstelle ich die Gutachten alleine. Manchmal habe ich die SGD Nord noch bezüglich der Überschwemmungs- und Gefahrenzonen mit im Boot. Selbstverständlich tausche ich mich aber auch mit anderen Gutachterinnen und Gutachtern aus, insbesondere was die Vorgehensweise betrifft. Denn wir vermuten alle, dass es im Nachgang leider noch viele Prozesse geben wird. Ich bin auch als Gerichtsgutachter tätig und so weiß ich alleine von Versicherungsfällen her schon, dass hier noch viele nachhallende Geschichten auf uns zukommen werden. Wir sind zwar versichert, dennoch: was die Grundstückswerte und die Eigentumsverhältnisse betrifft, da stützt sich vieles – allein wegen der Kürze der Zeit - auf Annahmen. Grundsätzlich muss man seine Fachkenntnisse einsetzen, um dann mit dem Ergebnis, das dabei herauskommt, auch umgehen zu können. Wenn man aber von vornherein mit Angst an die Sache herangeht, dann kann man den Leuten nicht helfen. Zuweilen unterstütze ich auch Kolleginnen und Kollegen, die bislang nicht als Gutachterin oder Gutachter tätig waren. In jedem Falle ist die Gebäudebewertung etwas anderes als eine Schadensaufnahme und da gibt es eben eine gewisse Grauzone, die fachfremde Kolleginnen und Kollegen nicht immer im Blick haben können. Für „normale“ Architekten, die keine öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständige sind, ist das Haftungsrisiko durch Fehlerhäufung sicherlich noch mal höher. Insgesamt ist es eine schwierige Situation.
Ganz allgemein gefragt: Was macht den Wiederaufbau im Ahrtal schwierig?
Für viele Haushalte stellt noch immer die Energieversorgung ein großes Problem dar. Sie wird allmählich aufgebaut, hat aber noch lange nicht jeden erreicht. Viele Geschädigte sitzen deshalb im Kalten und Feuchten. Ohne Strom können aber auch Gebäude momentan nicht technisch getrocknet werden. Zwar ist eine natürliche Trocknung im Allgemeinen einer technischen vorzuziehen, aber das ist nicht überall möglich und der Zeitfaktor ist ein ganz anderer. Insbesondere innenliegende Räume, solche mit kleinen Fenstern oder Kellerräume können natürlich nur sehr schlecht auf natürlichem Wege getrocknet werden. Durch einen extrem langen Trocknungsprozess können weitere Schäden an den Gebäuden ausgelöst werden. Es gibt zwar viele Generatoren im Flutgebiet, diese werden aber zumeist dafür verwendet, um in den noch unbeschädigten Gebäudeteilen einen Teilbetrieb am Leben zu halten. Wenn ich an diese Generatoren jetzt die Trocknungsgeräte mit hohem Strombedarf anschließe, dann fällt das System aus.
Sie werden im Rahmen Ihrer Arbeit mit viel Schmerz und Verzweiflung konfrontiert. Wie schwer fällt es, professionelle Distanz zu wahren?
Ich bin seit dem zweiten Tag nach der Katastrophe, also seit dem 16. Juli im Flutgebiet unterwegs. Der Grund ist, dass wir schon zuvor einige Bauherren im Ahrtal hatten. Und das war schon sehr bedrückend. Die Projekte waren kurz vor der Fertigstellung und dann: Totalschaden. Dennoch ist es so, fast überall wo ich hinkomme, begegnen mir die Menschen sehr optimistisch, das beruhigt einen dann wieder. Andere hingegen sind richtig verzweifelt. Man muss dann versuchen sachlich zu bleiben und seine Arbeit professionell zu erledigen, aber die Emotionen, die kommen dann spätestens abends im Büro hoch. Vor Ort versucht man das natürlich zu vermeiden, denn sonst kommt man zu keinem abschließenden Ergebnis.
Vielleicht noch abschließend gefragt, wie lange brauchen Sie eigentlich, um ein Gutachten zu erstellen?
Zwei Wochen nach dem Ortstermin ist das Gutachten durch Zuarbeit von Kollegen in der Regel fertig. Da die Gutachten alle nach einem klaren Schema ablaufen, die Architektenkammer hat dazu eine Vorlage herausgegeben, brauche ich für die Schätzung der Schäden an einem Einfamilienhaus ungefähr acht bis zehn Stunden. Dann hat man aber keine Zeit, um noch bei den Behörden nach Plänen nachzuforschen. Es ist fast immer einfacher, die groben Massen vor Ort zu erfassen und damit in die Begutachtung zu gehen…
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Melanie Schulz