Abseits der Fachdiskussionen entfachen Fragen des städtebaulichen Denkmalschutzes intensive, oft wütende Leserbriefschlachten, gar Bürgerproteste. Zuweilen wird der Denkmalschutz als Schiedsrichter ins Feld geführt gegen zeitgenössisches Bauen. Doch wie steht es tatsächlich um den städtebaulichen Denkmalschutz? Wie sollte er sein, der Umgang mit dem baukulturellen Erbe? Und wie ist er tatsächlich? Diesen Fragen widmete sich am 28. Juni 2016 das dritte Hambacher Architekturgespräch auf dem Hambacher Schloss über Neustadt.
29. Juni 2016
Einfügen | Einfühlen | Ertüchtigen
Es diskutierten die beiden Denkmalexperten Prof. Dr. Jürg Schweizer - der Kunst- und Architekturhistoriker war bis 2009 als oberster Denkmalpfleger des Kantons Bern auf denkmalpflegerischer Seite für die Erweiterung des Bernisches Historisches Museum / Einstein Museum verantwortlich - und Prof. Dr. Gerhard Weiß - ehemaliger Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege in Hessen - sowie Prof. Claus Anderhalten aus Berlin - er ist der Architekten des neuen Museums „Luthers Elternhaus“ in Mansfeld. Die Runde wurde komplettiert von Gerold Reker, dem Präsidenten der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, und Thomas Metz, dem Generaldirektor der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz. Der Kulturjournalist Markus Clauer moderierte die Runde.
Hambach, Symbiose aus Alt und Neu - seit 150 Jahren
Für die Stiftung Hambacher Schloss nutzte der stellvertretende Stiftungsvorsitzende, Landrat Hans-Ulrich Ihlenfeld, die Gelegenheit, auf die bewegte Baugeschichte des Hambacher Schlosses zu verweisen. Das Schloss ist nicht erst durch die Baumaßnahmen der letzten Jahre, sondern seit seinem Wiederaufbau im Jahr 1844 immer wieder ein beredtes Zeugnis für „Bauen im Bestand“. „Anfänglich stark kritisiert, ist das ‚neue‘ Hambacher Schloss heute ein allseits anerkanntes Beispiel einer gelungenen Symbiose aus Denkmalschutz, zeitgemäßer Architektur und zukunftsfähiger Technik“, so Ihlenfeld, dessen Landkreis mehr als 1.600 Einzeldenkmäler und rund 100 Denkmalzonen zählt.
Dialog der Gestalter über die Zeit hinweg
„Was heute als eine der grundsätzlichen, aber wechselseitigen Positionen in der Denkmalpflege gilt, war vor der Einführung der Denkmalpflege im 19. Jahrhundert die Normalität: Das neue Bauen in historischem Kontext. Ein Baumeister der Renaissance, der eine gotische Stadtkirche zu erweitern hatte, hätte das nie in gotischen Formen getan“, daran erinnerte Gerold Reker, Präsident der Architektenkammer Rheinland-Pfalz. Sein Plädoyer richtete sich auf das Fortschreiben von Geschichte in die Zukunft, was nur möglich sei, wenn jedes Zeitalter seine Schicht hinzufügen könne: „Verstehen kommt vor Verändern. Die Vielschichtigkeit aus Material, Konstruktion, Resonanz bildet den Nährboden für Neues. Neues entstehen zu lassen, heißt warten, riskieren, dosieren können.“
Einfügen - Herausforderungen für den Städtebaulichen Denkmalschutz aus Sicht der Denkmalpflege
Die Bedeutung des städtebaulichen Gefüges hob Professor Dr. Gerhard Weiß, ehemaliger Präsidenten des Landesamtes für Denkmalpflege in Hessen, hervor, in dem er Paul Jonas Meier zitierte, der schon 1905 urteilte: „Wenn ich um meine Meinung befragt würde, welchem Denkmal einer beliebigen Stadt, die zu inventarisieren wäre, seiner ganzen geschichtlichen Bedeutung nach der Platz an erster Stelle gebührt, so würde ich ohne weiteres Besinnen sagen: dem Grundriß der Stadt mit dem Laufe ihrer Straßen, der Lage und Gestalt ihrer Plätz, dem Zuge der Stadtmauern. Man kann vielleicht sagen, der Grundriß einer Stadt ist die monumentalste Urkunde ihrer Geschichte.“
Doch wies er gleichzeitig auf die starken Eingriffe durch Weltkriegen und Aufbaujahre hin und verdeutlichte sie am Frankfurter Römer und seiner Bebauung und dem Haus am Dom in Worms. Erstaunlich hier: Die Kriegszerstörung des ausgehenden 18. Jahrhunderts sollte schon vor Anfang des 20. Jahrhunderts durch eine Neuordnung der Platzfläche repariert werden. Ein Wettbewerb wurde ausgelobt, aber der Widerstand der Bevölkerung war zu groß, es wurde nichts gebaut. 100 Jahre und einen Wettbewerb später gleichen sich die Bilder: Es kommt erneut angesichts der Neubaupläne zu vehementem Bürgerprotest.
„Die durch die Bebauung sich bildenden räumlichen Bezüge von Straßen und Plätzen prägen wesentlich das emotionale Erlebnis der Stadt, das nicht statisch ist, sondern auch einem Wandel in der Auffassung im Lauf der Zeit unterliegt“, so Professor Dr. Weiß.
Einfühlen - Kubus Titan - Historisches Museum Bern
Im Herzen einer der bedeutendsten Stadterweiterungen des 19. Jahrhunderts, dem Kirchenfeld in Bern, das seine Entstehung dem Auftreten der dem Auftreten der Londoner Kapitalgesellschaft „The Berne-Land-Company Ltd“ 1881 verdankte, galt es das in den 1890er Jahren entstandene Bernische Museum zu erweitern. Professor Dr. Jürg Schweizer, der Kunst- und Architekturhistoriker war bis 2009 als oberster Denkmalpfleger des Kantons Bern auf denkmalpflegerischer Seite für die Erweiterung dieses Bernischen Historischen Museum / Einstein Museum und damit für einen markant zeitgenössischen Ergänzungsbau in einem erstaunlich geschlossen erhaltenen Quartier des 19. Jahrhunderts verantwortlich. Er skizzierte nach, wie das Museum erweitert wurde.
Im Jahr 2000 kam das überfällige Bauvorhaben in Gang. Wie schon für den Ursprungsbau im 19. Jahrhundert wurde auch diesmal ein Architektenwettbewerb ausgelobt. Den Preisträgern :mlzd-Architekten aus Biel gelang bei der Realisierung 2007-09 das Kunststück, mit rund 8.000 Kubikmeter Raumvolumen den Altbau nicht zu erdrücken und gleichzeitig eine vielseitig nutzbare innerstädtische Freifläche zu schaffen: „Damit hat das realisierte Projekt die strikte Trennung in Schaufassade des Museums und Park gegen Norden und vernachlässigte, behelfsmäßig genutzte Hinterseite gegen Süden aufgehoben: Die Insel im Rücken des Museums hat eine Verbindungsbrücke erhalten. Damit wird das große Areal im Süden massiv aufgewertet; aus einer Brache ist ein städtebaulicher Auftakt geworden - Raum für Zukünftiges“, resümierte Professor Schweizer.
Ertüchtigen - Städtebaulicher Denkmalschutz und Nachhaltigkeit
Der Architekt Prof. Claus Anderhalten, Berlin, ist Praktiker im Umgang mit Einzeldenkmälern und städtebaulichen Ensembles. Er stellte seine Grundhaltung im Umgang mit historischen Ortsbildern anhand weniger Beispiele vor. Das Museum „Luthers Elternhaus“ im mittelalterlich-barocken Mansfeld gehörte ebenso dazu wie ein städtebaulich markanter Plattenbau der Berliner Humboldt Universität. Ihn schlicht zu eliminieren, dagegen hatte sich ausgerechnet die Berliner Denkmalbehörde verwahrt. Zu Recht, wie Anderhalten heute weiß. Er nahm die Herausforderung an, bescherte der Universität ein zeitgemäßes Institutsgebäude am Hausvogteiplatz in Berlin in der Kubatur der alten Platte…
Die anschließende Diskussion moderierte Markus Clauer. Er lenkte den Blick auf die städtebaulichen Problemlagen im Land und ihre denkmalrechtlichen Implikationen vom Haus am Dom in Worms über den Neubau des Gutenbergmuseums bis zu den Ludwigshafener Abbrucharbeiten: Dem BASF-Hochhaus und der ‚Tortenschachtel‘: beides schmerzlich vermisste Merkpunkte der Stadt Silouhette.
Erklären - Erinnern - Akzeptieren
Im Laufe der Diskussion um die Konfliktlinien zwischen städtebaulichem Denkmalschutz und zeitgenössischem Bauen, zwischen Architekten und Denkmalpflegern, Bürgern und politisch Verantwortlichen und Investoren traten die Fronten der fachinternen Diskussion beispielsweise um das, was an Rekonstruktion erlaubt sein, beinahe in den Hintergrund. Wohingegen die öffentliche Wahrnehmung dessen, was die Fachleute für gut und angemessen halten, und die umfallfreie Durchführung von Vergabeverfahren sich für Denkmalpfleger wie Architekten als zunehmend herausfordernde Aufgabe darstellte.
Das schweizerische Beispiel des Historischen Museums in Bern gab Anlass nachzufragen, wie Akzeptanz für einen auf den ersten Blick so radikalen Eingriff ins Stadtgefüge erreicht wurde. Professor Jürg Schweizer zeigte einen ebenso einfachen wie mühevollen Weg auf: Ausstellen - Führen - Erklären - Diskutieren und wieder Erklären - immer geduldig und sachlich, nie arrogant. Darauf sei man in der Schweiz mit den vielen Bürgerbefragungen angewiesen, aber man habe auch Übung und - mit dem einen oder anderen Erfolg nach langen und mühevollen Verfahren wachse auch ein gewisses Vertrauen. Das mache die eine oder andere Debatte dann nicht leicht, aber leichter. Damit schlug Professor Schweizer den Bogen zur Begrüßung durch Landrat Ihlenfeld. Er hatte eingangs auf die harten Auseinandersetzungen um die Neuordnung der Ausstellung, der Besucherführung und des Festsaales sowie den Anbau eines Cafés und des neuen Entreegebäudes verwiesen. Jetzt, nach beinahe zehn Jahren, dem Abschluss der Arbeiten und einem Architekturpreis des Deutschen Architekturmuseums sei das Ergebnis breit akzeptiert.
Archivbeitrag vom 29. Juni 2016