16. Januar 2013
„Ich habe mich in Spanien sehr wohl gefühlt!"
Frau Boy, was hat sie direkt nach ihrem Diplom nach Spanien gelockt?
Die größte Motivation war, eine neue Sichtweise auf Architektur zu bekommen. Im Studium gab es nur eine Philosophie und die wurde von allen Professoren vertreten. Das habe ich als sehr einseitig empfunden. In Spanien gab es zu der Zeit viele innovative, junge Büros, die sehr interessante Architektur gemacht haben. Dazu kam, dass ich bereits recht gut Spanisch sprach. Ich war bereits während des Studiums ein Semester in Barcelona. Auch damals wollte ich dort arbeiten, das hat aber leider nicht geklappt.
Wie hat es dann nach dem Diplom geklappt?
Ich habe mich für ein Leonardo-Stipendium* beworben und dies auch bekommen. Dann bin ich mit Rucksack und Mappe nach Madrid geflogen und habe mich direkt vor Ort in knapp zehn Büros vorgestellt. Sich von Deutschland aus schriftlich zu bewerben, ist wenig erfolgversprechend. Die Bewerbungen werden vielleicht kurz angesehen, verschwinden dann in einer Akte und werden nie wieder hervorgeholt. Für die Spanier ist der persönliche Eindruck wichtig. Sie interessiert natürlich auch, was man bisher gemacht hat, und sie sehen sich auch gerne Arbeitsproben an, entscheidend ist das aber nicht. Auch Arbeitszeugnisse sind in Spanien nicht üblich, werden aber geschrieben, wenn man sie anfordert.
Wie wichtig sind Spanischkenntnisse in den Büros, kann man sich auch auf Englisch verständigen?
In den Büros wird eigentlich nicht Englisch gesprochen. Wir hatten einen Praktikanten, der konnte so gut wie kein Spanisch. Er war zwar integriert, aber das Arbeiten ist natürlich nicht effektiv. Spanisch zu lernen ist aber nicht sehr schwer. Die Spanier sind zudem sehr hilfsbereit und haben viel Geduld.
Nachdem es dann geklappt hatte: Haben Sie den erhofften neuen Blick auf die Architektur bekommen?
Ja. Ich habe damals in einem zu der Zeit noch jungen Büro angefangen, in dem sehr spannende, ungewöhnliche und kreative Projekte bearbeitet wurden. Wir haben beispielsweise das Büro vom Regisseur Pedro Almodovar gebaut. Und um gleich ein Vorurteil auszuräumen: in spanischen Büros wird sehr viel gearbeitet.
Lange oder lange und intensiv?
Lange und intensiv. Für die Kaffeepause am Vormittag geht man zwar traditionell in ein Café um die Ecke, das dauert sicher etwas länger als den Kaffee am Arbeitsplatz zu trinken. Aber besonders in meinem ersten Büro haben wir auch nachts und oft am Wochenende gearbeitet.
Unterscheidet sich die Arbeitsweise in Spanien von der in Deutschland?
In Spanien ist auf jeden Fall der Umgang miteinander persönlicher, die Atmosphäre in den Büros herzlicher. Man duzt sich von Anfang an, auch mit den Chefs - ein Hierarchiedenken wie in Deutschland gibt es dort nicht. Beim Entwerfen und Planen hat man viel mehr Freiheiten, es wird mehr experimentiert. Natürlich sind auch die klimatischen Bedingungen andere und es gibt nicht so viele gesetzliche Vorgaben - obwohl sich das in den letzten Jahren durch EU-Bestimmungen etwas geändert hat. Generell ist in Spanien die Gruppe ganz wichtig, das ist auch bei der Arbeit so. Das Individuum steht hinten an. Man muss sehr anpassungsfähig sein. Den Deutschen wird immer vorgehalten, dass sie das nicht sind. Die Spanier sind zudem sehr diplomatisch. Sie sagen nie direkt was sie denken. Das macht die Entscheidungsfindung oft langwierig und schwierig und es kommt zu Missverständnissen. Zum Teil werden Entscheidungen getroffen, die - wie sich hinterher herausstellt - so keiner wollte. Gegenüber den Bauherren ist das Verhältnis ebenfalls immer sofort sehr freundschaftlich. Wodurch es aber auch zu Problemen bei der Bezahlung kommen kann. Ich habe in Granada in einem Büro gearbeitet, da hat mein Chef Verträge noch per Handschlag geschlossen. Das war eine Sache der Ehre. Manche Bauherren wollten sich dann leider später nicht mehr an ihr Wort erinnern. Mich betraf das leider direkt, weil ich in dem Büro kein festes Gehalt bekam, sondern prozentual an den bearbeiteten Projekten beteiligt war. In Madrid oder Barcelona gibt es solche Verträge aber nicht mehr. Aber auch ich hatte in keinem Büro einen schriftlichen Arbeitsvertrag.
Wie ist das Leistungsspektrum der Architekten in Spanien: erbringen sie alle Leistungen, vom Entwurf bis zur Bauleitung?
In Spanien sind die Aufgaben aufgeteilt: Architekten machen die Planung und Aparejadores sind für die Realisierung zuständig. Das ist klar getrennt, wie auch die Studiengänge. Architekten studieren zehn Semester und haben am Ende einen Superior-Abschluss, Aparejadores in einem eigenen Studiengang nur sechs Semester. Die Organisation ist allerdings sehr chaotisch. Das ist etwas, was Deutsche dort einbringen könnten. Baumanagement, Projektsteuerung, Kostenkontrolle, das gibt es alles nicht, zumindest nicht in den Büros, in denen ich gearbeitet habe. Es wird alles im Moment entschieden. Wir haben Leistungen beispielsweise nie ausgeschrieben. Bei öffentlichen Aufträgen ist das wahrscheinlich anders, oder auch in großen Büros. Bei uns war das aber nicht üblich.
Wie sind deutsche Architekten in Spanien angesehen?
Generell haben sie einen guten Ruf. Deutsche Architekten gelten - wie wahrscheinlich überall - als sehr effizient, gut organisiert, verantwortungsbewusst und zuverlässig. Was ihnen etwas angelastet wird, ist mangelnde Flexibilität. Sie gelten als stur und in einem Schemadenken gefangen. Das stimmt auch, die Spanier sind viel offener. Für sie gibt es nicht die eine Lösung, sondern 1.000 Möglichkeiten. Es wird viel probiert, auch viel akzeptiert und viel angenommen. Die Deutschen legen sich sehr schnell fest und weichen dann nicht mehr davon ab.
Wie sind die Verdienstmöglichkeiten in Spanien?
Sehr gering. Als Architekt verdient man unheimlich wenig. Viele junge Akademiker haben um die 1.000 Euro im Monat verdient, eine ganze Generation, auch viele Architekten. Mittlerweile ist es noch weniger geworden. Finanziell war mein Leben in Spanien immer sehr angespannt.
Gibt es in Spanien eine mit Deutschland vergleichbare Sozialversicherung?
Ja, sie ist nur etwas anders strukturiert. Wenn man seinen Wohnsitz in Spanien hat und nicht schwarz arbeitet, was durchaus vorkommt, ist man automatisch in der Seguridad Social versichert. Das ist die allgemeine, zentrale Versicherung, die die Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung umfasst. Als freie Mitarbeiterin ist man auch „Zwangsmitglied“ und zahlt den selben, fixen Beitragssatz wie Angestellte. Arbeitslosengeld erhält man aber trotzdem nicht, Angestellte immerhin für maximal eineinhalb Jahre. Dann ist auch für sie Schluss. Danach gibt es nichts mehr. Sozialhilfe, wie in Deutschland, existiert nicht. Das ist natürlich derzeit ein ganz großes Problem. Es ist dramatisch, was sich im Moment in Spanien abspielt, bei einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent. Viele gestandene, erwachsene Menschen sind wieder zurück zu ihren Eltern gezogen und leben nun gemeinsam mit diesen von deren kleiner Rente.
Das heißt, nachdem das Büro, in dem Sie gearbeitet haben, keine Aufträge mehr hatte, haben Sie gar keine staatliche Unterstützung bekommen?
Ja, leider. Und auch meine spanischen Rentenansprüche sind verfallen, weil ich nach Deutschland zurückgekehrt bin. Ins deutsche System werden sie nicht übertragen.
Hätten Sie sich auch in Deutschland weiter versichern können?
Das weiß ich leider nicht. Es gibt in Spanien noch die Möglichkeit, wenn man Mitglied der dortigen Architektenkammer ist, sich anstatt über die Securidad Social über die Sozialversicherung der Architekten zu versichern. Das hat aber den Nachteil, dass diese automatisch auch eine Berufshaftpflichtversicherung beinhaltet. Das war für mich viel zu teuer. Ich würde aber jedem empfehlen eine zusätzliche private Krankenversicherung abzuschließen. Die sind in Spanien nicht so teuer und lohnen sich. Denn wer nur über die Securidad Social versichert ist, kann man sich seinen Arzt nicht aussuchen und muss zum Teil Monate auf eine Operation warten.
Kann man sich als deutscher Architekt in Spanien problemlos selbstständig machen?
Ja. Man muss nur seinen Abschluss anerkennen lassen, und in die Kammer eintreten. In Spanien wird nicht einmal Praxiserfahrung gefordert. Bei mir war die Anerkennung meines Diploms allerdings etwas problematisch. Ich habe an einer Fachhochschule studiert, so etwas kennen die Spanier nicht. Wenn man von der Uni kommt, geht das aber ziemlich schnell. Die Anerkennungsbedingungen sind in EU-Regelungen genau festgelegt.
Und dann kam die Wirtschaftskrise?
Ja, die kündigte sich ja schon länger an. Allen war eigentlich klar, dass sie kommen wird, nur die Heftigkeit hat keiner erwartet. Gerade im Wohnungsbau standen schon viele Bauten leer, es wurde aber immer weiter gebaut. Ganz Spanien hat sich auf den Bausektor gestützt, ein Großteil der Bevölkerung hat in diesem Bereich gearbeitet. Das hat auch dazu geführt, dass es viele nicht ausgebildete Arbeiter auf den Baustellen gab, mit den entsprechenden Ergebnissen.
Seit Beginn der Krise sind viele Architekturbüros insolvent gegangen, es gibt kaum noch Arbeit für Architekten. Hat Ihnen das eine vielleicht sowieso anstehende Rückkehr nach Deutschland leichter gemacht oder trauern Sie dem Leben und Arbeiten in Spanien nach?
Wenn es die Krise nicht gäbe, wäre ich wahrscheinlich nicht nach Deutschland zurückgekehrt. Ich habe mich in Spanien sehr wohl gefühlt. Doch dort bleiben, ging nicht mehr. Jeder, der kann, verlässt derzeit Spanien.
Was hat sie besonders in Spanien beeindruckt?
Es war immer in allen Büros eine sehr angenehme Atmosphäre und eine tolle Gemeinschaft. Alle haben sich gegenseitig unterstützt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich irgendwann einmal morgens aufgestanden bin und dachte: Ich habe keine Lust arbeiten zu gehen. Die Spanier haben sehr viel Lebensart. Sie genießen das Leben, obwohl es ihnen finanziell oft schlecht geht und sie genug Gründe zum jammern hätten. Sie gehen abends raus, vergessen so ein bisschen ihre Sorgen und genießen den Moment. Das bewundere ich sehr.
Das Interview führte Kerstin Mindermann, Freie Journalistin in Mainz.
*Das Leonardo Programm der EU förderte Auslandspraktika, heute heißt es „ERASMUS