Die älteste Architektenkammer der damaligen BRD wird siebzig. 70 spannende und turbulente Jahre, sieben Jahrzehnte mit vielen Daueraufgaben – HOAI, Vergabe, Werbung, Baukultur, Weiterbildung, Gemeinwohlverpflichtung. Sieben Jahrzehnte voller Wandel, voller Um- und Aufbrüche. Neun Vertreterversammlungen, neun Vorstände und neun Präsidenten: Alle trugen mit ihren Ideen und Umsetzungen zum positiven Gesamtbild bei.
Da passt ein Jubiläumsjahr 2020, das so anders ist: unterbrochene Prozesse, gekippte Veranstaltungen, ein mehr als ruhiges Zentrum Baukultur. Ausgebremst! Maske! Homeoffice! Einige reden vom Epochenbruch. Plötzlich üben sich nicht nur die Eingeborenen der digitalen Zeit im Virtuellen, auch die Zugezogenen, die noch Papiersozialisierten fügen sich. Man spricht von Chancen, die die Krise gebiert. Welche Chancen? Und wie weiter? Wer kann, wer will eine Prognose wagen?
Der amerikanischen Zukunftsforscherin Martha Beck sind Prognosen zu heikel, sie blickt in der Regnose zurück. Auch Matthias Horx sieht in den Rückspiegel. Wie sieht es aus, das Heute, aus der Perspektive von 2021, 2025, 2030 oder 2040?
Die Kammer ist 90. Der amerikanische Präsident ist eine Präsidentin, die EU eine wirkungsmächtige, integrierende Kraft. Der Flughafen BER ist zu klein, Tegel für Elektroflugzeuge reaktiviert. Die Kammer ist weitergewachsen, ihre Schlagkraft ungebrochen. Es gibt mehr angestellte und beamtete Architektinnen und Architekten aller Fachgruppen als freiberuflich Tätige. Ohnehin ist die Mehrzahl aller Mitglieder weiblich. Büroarbeit ist digital und dezentral. Trotzdem wird die vor knapp 20 Jahren aufgestockte Geschäftsstelle intensiv genutzt. Über BIM und den digitalisierten Bauantrag schmunzelt man nur noch – genauso wie über Visionen, man komme ohne physischen Kontakt durch den Alltag. Einfache Software ist anwendungsbezogen. Honorare errechnen sich aus der BIM-Plan-und Bauteilliste automatisch. Die Vergabe ist gerecht. Die Klimafrage nähert sich der magischen Zahl. Regenerative Energie ist das Treibmittel der Zeit. Die Mobilitätsfrage ist geklärt. Die Verteilung Stadt und Land läuft in abgestimmten Verfahren. Schulen sind reformiert – pädagogisch wie baulich. Der Wohnungsmarkt ist gesättigt, die Kreislaufwirtschaft durchorganisiert. Die Bauherrschaft – in flachen Hierarchien effizient organisiert und durch die digitalen Instrumente hervorragend informiert – entscheidet schnell und verlässlich. Die Idee des freien Berufsbildes ist gesichert. Jeder weiß: Architektur ist systemrelevant. Ökologie macht niemandem mehr Angst, sie ist jetzt Möglichkeitsraum. Viel Raum für Architekten, Stadtplaner, Innen- und Landschaftsarchitekten – über gendermäßige Schreibweisen lacht man, weil statt der Sprache, die Lebenswirklichkeit gegendert wurde.
„Zukunft entsteht, wenn wir die Welt aus der Perspektive des Morgen betrachten – und unser Geist die Verbindungen zwischen Gegenwart und Zukunft verspürt!“ (Matthias Horx, Zukunftsforscher)
Wunschdenken? Vielleicht. Aber Routine und „Business as usual“ allein werden wenig helfen. Es hilft, was seit 70 Jahren hilft: Kontinuität muss sich mit Dynamik, Innovation und Frische paaren. Wir haben gemeinsam weitergedacht, unsere tägliche Arbeit überprüft, sind wissbegierig geblieben – als Einzelne, als Berufsstand und als Organisation. Wir sind und bleiben offen für neue Ideen, neue Erkenntnisse, neue Konzepte. Aber wir vergessen nicht, dass viele Ideen eine lange Geschichte haben, die wir kennen wollen, um sie im Kern zu verstehen. Wir wollen Fortbildung und kollegialen Austausch. Wir üben Solidarität und klare berufsständische Regeln. Und wir brauchen unsere Kammer. Daran arbeiten wir seit 70 Jahren.
Auf ins nächste Dezennium! – „Alles Gute!“, liebe, gute alte, junge AKRP.