19. März 2010

In Freiheit zur Heimat

Porträt Hermann-Josef Ehrenberg
Hermann-Josef Ehrenberg
Foto: Heike Rost, Mainz

Vorstandsmitglied Hermann-Josef Ehrenberg geht in der Aprilausgabe 2010 des Deutschen Architektenblattes den Fragen nach: Was ist Heimat? Was ist kulturelle Heimat? Wie ist die Stellung der Architekten bei der Entstehung einer solchen?

Die Akademie des Bistums Mainz hat die Architektenkammer Rheinland-Pfalz angefragt, aus der Perspektive der Architektur und der Architekten etwas zum Thema „Heimat“ beizutragen. Mit diesem aktuellen Programmschwerpunkt greift die Akademie weit über die romantisch verklärten Landschaftsbilder hinaus und zielt darauf ab, Heimat zu definieren in einer Welt der Entgrenzung, Globalisierung und vernetzten Vielfalt. Eigentlich ist es eine Analyse, ob und wie Menschen Heimat denken, fühlen und wie sie ihrer bedürfen, die die Teilnehmer zu kritischen Reflexionen auf der Durchreise durch die Lebenswelten ermuntern will.

Mit der Beteiligung setzt die Kammer ein Engagement fort, das sie vor dem Hintergrund der drängenden Debatte um die Zukunft der Kirchengebäude 2008 begonnen hatte. 2009 wurde das Spektrum auf einen interreligiösen Diskurs erweitert, indem die Kammer die zeitgenössische Synagogenarchitektur und das jüdische Leben in Deutschland in einer wunderbaren Ausstellung thematisierte. Dokumentiert ist diese Ausstellung in einem Buch, das die Stiftung Baukultur im März veröffentlicht hat.

Was ist Heimat?

Nun ist jedem geläufig, dass Haus und Hof, Stadt und Land selbstverständliche Inbegriffe von Heimat sind. Insofern sind die Architektur, die Stadtplanung und Landschaftsarchitektur professionelle Sachwalter der Orte, von denen bereits Cicero sagte: ubi bene, ibi patria.

Doch trifft das tatsächlich noch zu in einer Gesellschaft, die schon lange nicht mehr eine Sprache spricht, in der vollkommen unterschiedliche Stile gelebt werden? Kurz gesagt: Bietet unsere gebaute Umwelt Heimat, schaffen Architekten und Ingenieure die Häuser, die Straßen und Plätze, die Parks und Gärten, in denen sich Menschen wohlfühlen, wo sie Heimat finden?

Heimat ist aber nicht nur Architektur, Landschaft und Stadt, sondern auch Lieder und Sprache, Küche und Gerüche, nicht zuletzt Kultur und Religion. Insofern ist die Themenstellung der katholischen Akademie auch eine Frage nach dem Sinn einer Heimat, nach Sehnsucht, Hoffnung, Orientierung und Glaube.

In diesem komplexen Spektrum können Architekten in der Tat maßgebliche Beiträge liefern. Einerseits erklären sie die Konstruktion und Gestalt von Haus und Wohnung, das Bauen für Jung und Alt, für Gesunde und Kranke. Stadtplaner und Landschaftsarchitekten entwickeln Freiräume, die der Bewegung und der Begegnung dienen, die für das ökologische Wirkungsgefüge und die ästhetische Wahrnehmung entscheidend sind. Sie sind aber auch gefragt, wenn es um die Orte des Nachdenkens, des Besinnens auf Leben und Tod, auf das Woher und Wohin geht, wenn es um die existentielle Orientierung, eben um Glauben und Religionen geht. Ob Kirche, Synagoge oder Moschee, es sind immer Orte besonderer kultischer Identität und Existenz.

Die christliche Grundprägung des präsäkularen christlich-jüdischen Europas hat sich spätestens seit der Aufklärung und der industriellen Wanderungsbewegungen quer durch den Kontinent aufgelöst. Die gesellschaftlichen und ökonomischen Schicksalsfragen unserer Zukunft betreffen die Integration der Vielzahl unterschiedlicher Kulturen und Glaubenswahrheiten.

Die Religionsfreiheit ist in Artikel 4 des Grundgesetzes verankert, die Architektur ist ihre gebaute Ausprägung. Das Grundgesetz erlaubt individuelle Freiheiten und begrenzt sie zugleich mit der sozialen Verträglichkeit. Die Debatte um Moscheen und Synagogen, um die religiöse Architektur im öffentlichen Raum ist auch eine Verpflichtung für die Architektenschaft, über die Freiheit ihres Handwerks nachzudenken.

Kulturelle Heimat

Die zeitgenössische jüdische Architektur in Deutschland beweist ein kluges Gespür für Geschichte und Gelassenheit. Die Ausstellung „Gebauter Aufbruch“ dokumentiert Beispiele dieser baukulturellen Hochkultur, die in der Gegenwart überzeugt. Sie knüpft an die historische, sozio-kulturelle Symbiose inmitten Europas an, ohne den Fehler der Imitation oder der Überfrachtung der gründerzeitlichen Jahrzehnte zu begehen. Vielmehr gelingt es ihr, eine eigene, vielfach expressive Sprache zu sprechen und sich deutlich zu verorten. Ob allerdings jedes Gemeindemitglied diese Sprache versteht, ist fraglich. Aber die neuen Synagogen zeigen einen Integrationswillen, der das Judentum als eine selbstbewusste Religion in der Moderne repräsentiert.

Die Religionsfreiheit und ihre architektonische Ausprägung gelten selbstverständlich auch für die Muslime in Deutschland. Der Disput über Moscheen und Minarette ist im Geiste der Verfassung merkwürdig, aber er ist Spiegelbild der sozialräumlichen Grenzen und Verträglichkeiten islamischer Integration. Dennoch ist sie der einzige historische Schicksalsweg, um die muslimische Glaubensfreiheit in Einklang zu bringen mit dem gleichermaßen verfassten Kultur-, Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates.

Vor diesem Hintergrund sind Architekten verantwortliche Verfechter und Gestalter einer grundgesetzlichen Wirklichkeit und Zukunft in Deutschland. Ihre technisch-konstruktive Kompetenz und ihre Gestaltungskraft können dazu beitragen, die sozialräumlichen Grenzen zu überwinden und eine Architektursprache zu vereinbaren, die Spiegelbild soziokultureller Einzigartigkeit zugleich ist.

Die Mitwirkung der Architektenschaft an der Veranstaltung des Bistums Mainz am 23. und 24. April 2010 im Erbacher Hof ist ein Beitrag zur Neugestaltung kultureller Heimat und Ausdruck der Verantwortung unseres Berufsstandes. 

  

Archivbeitrag vom 19. März 2010