19. Februar 2015

Mehr Architektur

Vorstandsmitglied Jürgen Hill plädiert in der März-Ausgabe 2015 des Architektenblattes für die Pflege und das Weiterbauen der vorhandenen Bausubstanz

Im vergangenen Dezember haben die Architektenkammer und das Ministerium für Wirtschaft, Energie, Klimaschutz und Landesplanung mit der Tagung "MehrWert statt Müll" das Thema Kreislaufwirtschaft angerissen. Gedanklicher Ausgangspunkt war zunächst der Wunsch, dem Recyceln von Baustoffen mehr Raum im Baustellenalltag zu geben. In der Konzeption des Symposiums hat sich dann ganz unversehens ein anderer Ansatz zur Gewissheit verdichtet: Die Architektur, die bestehenden Gebäude selbst sind die Res­source, mit der wir umgehen, die wir pflegen, die wir weiterbauten und nutzen sollten. Das Bauschuttrecycling steht so erst am möglichst weit in der Zukunft liegenden Ende einer Verwertungskette, deren eigentlicher Kern die Architektur ist.

Graue Energie erschließen, Bauschutt vermeiden, dem Gebäude über die Jahre zugewachsene Nutzungssichten, soziale und kulturelle Aufladungen bewahren heißt, so die Kernbotschaft, zunächst mit dem vorgefundenen Bestand kreativ umzugehen. Das bedeutet auch: Neuem Flächenverbrauch vorzubeugen, Ortskerne dicht und belebt zu halten, bestehende Infrastrukturen zu nutzen, statt neue aufbauen zu müssen. In einem weitgehend gebauten Land, dessen Bevölkerung älter, weniger und bunter wird - bei allem Reichtum vielleicht im Alter auch künftig weniger Geld zur Verfügung hat - könnte eine Strategie für die Zukunft so aussehen. Dazu brauchte es Architekten und Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner, die individuell die Gestaltungsmöglichkeiten im Bestand ausloten. Unmöglich, so nicht en passant singuläre, eindeutige, einzigartige Lösungen zu bauen, die den Ort und die Bewohnerschaft spiegeln.

Schicker schrumpfen?

Schicker schrumpfen? In weiten Teilen des Landes brauchen wir genau dazu Strategien. Strategien, die aus dem nötigen Weniger mehr machen.

Oder anders: Die Kuratoren der Ausstellung "Alpen Architektur Tourismus", die am 4. Mai 2015 im Zentrum Baukultur in Mainz Station machen wird, fordern: „Qualität statt Quantität, Bildung statt Events, Erhaltung und Erneuerung statt Zersiedelung und Allerweltsarchitektur? Die Sensibilität für Kultur und Geschichte bringt uns dazu, aus den Werten des Vorhandenen Neues abzuleiten, das wiederum authentisch und einzigartig ist.“

„Genau“, möchte man da antworten - nicht nur, aber besonders mit Blick auf Architektur im Tourismus, für Hotellerie und Gastgewerbe. Ob am Mittelrhein oder an der Mosel - in traditionellen Urlaubsregionen des Landes wurde in den letzten Jahrzehnten zu wenig und zu schlecht ins Bauen investiert. Man hat aus der Substanz gelebt. Nur vorläufig fällt auch so kein Bauschutt an, den man recyclen müsste, auf längere Sicht, zehrt das, was gepflegt werden sollte, aus. Den Gästen ist das längst bewusst: Die gut informierten, die anspruchsvollen und zahlungskräftigen blieben zuerst weg.

Mehr Architektur - Mehr Qualität

Der Abwärtsspirale ist nur mit Frische zu begegnen, mit Angeboten rund ums Jahr, die zugeschnitten sind auf den Ort, auf die Region und auf ihre jeweils unnachahmlichen Aspekte. UPS - unique selling point - heißt neudeutsch das, wonach alle streben. Gesucht werden Merkmale, die nur hier und nirgendwo sonst so zu haben sind. Baukultur wäre da kein schlechtes Argument, um die Touristen anzulocken. Wir kennen erste wirklich gute Beispiele auch in Rheinland-Pfalz. Einige Hotels haben erkannt, wo die Zukunft liegen kann. Die meisten von ihnen sind mit dem Wein eng verbunden.

National und international zeigen Plattformen wie www.urlaubsarchitektur.de, dass es ein großes Potential von Gästen gibt, für die Landschaft und gebaute Umwelt zusammengehören, die in der Architektur Besonderes finden möchten.

In Rheinland-Pfalz heißt das für die einzelnen Betriebe, aber auch für die Urlaubsregionen, sie sollten die Zeichen der Zeit erkennen und baukulturell aufrüsten, um mithalten zu können. Dazu braucht es nicht nur Neubauten, oft schlummert in den bestehenden Häusern ein unterschätztes Potential. Letztlich geht es um Investitionen in Qualität. Eine baukulturelle Qualität, die länger hält und mehr leistet, als billige Baumasse von der Stange. Vom Wein wissen wir, dass so etwas funktionieren und wirtschaftlich tragfähige Strukturen hervorbringen kann. Jedoch muss alles stimmen. Die Architektur alleine wird nicht richten, was Küche, Keller, Service und das touristische Angebot der Kommune oder der umliegenden Region vermissen lassen.

Ein Welterbe Oberes Mittelrheintal will erschlossen werden, der eben entschiedene Wettbewerb für das Loreley-Plateau und eine im Rahmen des Masterplanprozesses gestartete Qualitätsoffensive geben Hoffnung. Der erste rheinland-pfälzische Nationalpark, der am Pfingstwochenende eröffnet wird, stellt uns Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner vor große Aufgaben. Lassen Sie uns die Bauherren davon überzeugen, dass Tourismus und Architektur in Zukunft zusammengehören!

 

Archivbeitrag vom 18. Mai 2015