Zunächst die positive Nachricht: In den letzten Jahrzehnten haben wir es geschafft, unser Lebensumfeld insgesamt barrierearmer zu gestalten. Dies trifft sowohl auf den öffentlichen Raum in Städten und Gemeinden, auf den öffentlichen Verkehrsraum als auch auf öffentliche und private Gebäude zu. Es bleibt die berechtigte Frage, ob der erreichte Grad an Barrierefreiheit als ausreichend angesehen werden kann. Vor Beantwortung dieser Frage sollte eine vertiefende Betrachtung erfolgen. Dafür ist es sinnvoll, zunächst den Status quo nach bestehenden baulichen Anlagen und Neubaumaßnahmen zu unterscheiden.
Neubauten
Neubauten werden inzwischen zum großen Teil barrierearm, wenn nicht gar barrierefrei geplant. Das fällt leicht, da von Beginn an Wünsche, Ansprüche und Forderungen individuell berücksichtigt werden können. Zudem haben die Vorgaben aus Regelwerken und Bauordnungen hier ihren Einfluss geltend gemacht. Die DIN 18040 gibt Architekten umfassende Planungshilfen für Wohn- und Nichtwohngebäude an die Hand. Gegenüber der vorangegangenen DIN 18025 wurden barrierefreie Lösungen für deutlich mehr Formen körperlicher Einschränkungen aufgenommen. Über die Maßnahmen bei Einschränkungen des Bewegungsapparates hinaus sind nun auch Lösungen für bauliche Maßnahmen und Hilfen bei Einschränkungen der Sinne enthalten. Dieser Ansatz führt, bei allem positiven Hintergrund, bei der Planung von öffentlich zugänglichen Gebäuden jedoch mitunter zu Interpretationsschwierigkeiten, welche barrierefreien Standards erfüllt und welche Formen von Einschränkungen bei dem zu planenden Projekt vorrangig beachtet werden müssen.
Unterstützung bietet bei solchen Fragen die Landesberatungsstelle für barrierefreies Bauen und Wohnen in Mainz. Die Beratungsstelle wurde 1995 in Kooperation mit der Architektenkammer Rheinland Pfalz gegründet. Speziell geschulte Architekten bieten hier individuelle Beratungen für alle Fragen des öffentlichen und privaten Bauens an. Die Beratungen erfolgen telefonisch, schriftlich oder auch vor Ort, das Beratungsangebot bezieht sich nicht nur auf Neubaumaßnahmen, sondern ebenso auf bauliche Maßnahmen im Bestand. Dass sogar kostengünstiger Wohnraum barrierefrei geplant werden kann, hat der Ideenwettbewerb „Sozial - Schnell - Gut“ in diesem Jahr bewiesen. Das Bauforum Rheinland-Pfalz hatte ihn im Rahmen des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen Rheinland-Pfalz ausgelobt; die Dokumentation kann beim Bauforum bestellt werden: www.bauforum.rlp.de.
Bauen im Bestand
Das Planen und Realisieren von barrierefreien Lösungen in Bestandsgebäuden ist zumeist eine deutlich anspruchsvollere Aufgabe. Die Kriterien aus den Regelwerken sind häufig nur schwer zu erfüllen, zudem können die notwendigen Bewegungsräume für barrierefreie und rollstuhlgerechte Lösungen häufig nur zulasten der Zimmeranzahl und der nutzbaren Flächen geschaffen werden. Während sich individuelle, neu geplante, barrierefreie Wohnungen wirtschaftlich realisieren lassen, ist dies beim Umbau von bestehenden Gebäuden zumeist nicht möglich.
Entwicklungen
Im Rahmen des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen Rheinland-Pfalz wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich speziell mit dem Thema „Barrierefreiheit“ beschäftigt. Als Vorstandsmitglied der Kammer arbeite ich in dieser mit und bringe die Interessen und Belange unseres Berufsstandes ein. Aktuell wird die Anpassung der Förderrichtlinie „Soziale Wohnraumförderung“ an die neue Landesbau-förderung erarbeitet. Zukünftig ist zudem die Formulierung von Handlungsempfehlungen für barrierefreies Bauen geplant. Diese sollen in zwei Broschüren, getrennt nach „Neubau“ und „Bauen im Bestand“, veröffentlicht werden.
Fazit
Zusammenfassend kann man sagen: Die Bestrebungen, barrierearmes bzw. barrierefreies Wohnen zu ermöglichen, tragen Früchte. Barrierefreies Bauen sowie Umbauen wird gefördert (Informationen hierzu erteilt ebenfalls die Landesberatungsstelle für barrierefreies Bauen und Wohnen). Die Lösungen dienen dabei nicht nur Menschen mit Einschränkungen, vielmehr wird das Leben im barrierefreien Umfeld für alle komfortabler. Schwellenfreie Zugänge, egal ob zu öffentlichen Gebäuden, Wohnungen, Balkonen oder Duschen, erleichtern insbesondere auch Eltern mit Kinderwagen, Kindern und jung gebliebenen Senioren das Leben. Ein attraktives Wohnungsangebot ermöglicht vielen ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden bis ins hohe Alter und Barrierefreiheit ist mittlerweile ein Faktor, der zur Wertstabilität einer Immobilie beiträgt.
Uwe Knauth, Vorstandsmitglied
Archivbeitrag vom 21. November 2016