Am 13. März wird in Rheinland-Pfalz gewählt. Die Architekten- und die Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz haben den rheinland-pfälzischen Parteien Wahlprüfsteine zu den folgenden Themen vorgelegt und um Antworten gebeten:
- Schnell bezahlbaren Wohnraum schaffen
- Infrastrukturen ertüchtigen
- Mittelständische Strukturen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge beachten
- Planungswettbewerbe durchführen
- Ausbildungsqualität sichern - Verbraucherschutz stärken
- Energiepolitik: Steuerungsansätze ausdifferenzieren
- Gebäude und öffentliche Räume dem demografischen Wandel anpassen
- Dialog Baukultur ausbauen
- Ortskerne lebendig gestalten
- Zuständigkeiten bündeln
- Landesbauordnung im Auge behalten
Die Parteien haben geantwortet. Die Regierungsparteien etwas blumiger, weil sie gewohnt sind, für das, was sie sagen, in die Pflicht genommen zu werden, die Oppositionsparteien etwas knapper, weil sie sich in den ins Detail gehenden Wahlprüfsteinen nicht in letzter Konsequenz outen können oder wollen. Denn auch sie könnten in die Pflicht genommen werden. Anknüpfend an Bismarck hat Vaclav Havel Politik nicht als Kunst des Möglichen, sondern des Unmöglichen bezeichnet. Schaut man sich um, meint man ihm Recht geben zu müssen: Europäische Union, Naher Osten, Flüchtlinge, Finanzkrise... Unmögliches doch zu erreichen, ist allerdings auch ein Qualitätskriterium von Politik - und nicht minder von Architektur. Denn es ist der „Möglichkeitssinn“ aus Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“, der uns Architekten und Ingenieure treibt und auszeichnet. Unsere Aufgabe ist es, das Mögliche zu erkennen, zu beschreiben und umsetzbar zu machen. Das Feld des „bezahlbaren Wohnraums“ (rund 20.000 neue Wohnungen in den nächsten fünf Jahren) ist eine solche Möglichkeit, die die Kammer zusammen mit der Wohnungs- und Bauwirtschaft zügig erkannt und vorwärts getrieben hat.
„Infrastrukturen ertüchtigen (und erhalten)“ ist inzwischen beinahe schon eine Unmöglichkeit, sind doch der Erhalt von Straßen, Breitbandausbau und Schulbau über Jahre vernachlässigt worden. Hier ist weniger die Tatsache komplex, sondern die Frage, wie man das bei einem anstehenden Generationenwechsel von Ingenieuren erreichen will. Es fehlen junge Ingenieure. Niemand nimmt das Thema richtig ernst. Die Quote von Studienabbrüchen ist enorm, ein Rückbesinnen auf die Förderung von MINT-Fächern zu wenig. Öffentliche Vergaben: Die mittelständischen Strukturen des Landes sollen beachtet werden, Zugangskriterien für kleinere Büros (auch die gehören zum Mittelstand) werden jedoch zunehmend gekappt, die Verantwortung auf EU-Vorschriften verlagert. Land und Kommunen müssen erkennen, dass der einzuschlagende Weg kaum umsetzbar sein wird. Nicht jede Kindertagesstätte kann europaweit ausgeschrieben werden. Gerade die Thematik „Planungswettbewerb“, die sich in gesteigertem Maße mit dem Erfinden von Möglichkeiten auseinandersetzt und bewertbare Kriterien liefert, wird im neuen Vergabegesetz sturmreif geschossen. Will man Möglichkeiten diskutieren, braucht man verständige, dialogbereite Partner auf Augenhöhe. Bauverwaltungen dürfen nicht weiter ausgedünnt und zu reinen Immobilienbetrieben degradiert werden. Nur mit Sinn für Mögliches und dem Verstehen einer anderen Sprache lässt sich Unmögliches realisieren. Zur Augenhöhe gehört die fachliche Kompetenz auf beiden Seiten.
Energiepolitik darf kein Rätsel bleiben. Die EnEV, die Planung und Gestaltung der Windenergie, Suffizienz, Kreislaufwirtschaft sind stellenweise unausgegoren. Der Demografische Wandel ist erkannt, aber mit der Flüchtlingsproblematik auf eine andere Stufe gefallen. Auch mit bleibenden Flüchtlingen wird die Überalterung unserer Gesellschaft fortschreiten. Sterbende Ortskerne werden sich nicht selbst reaktivieren. Ohne verbesserte Finanzausstattung lassen sich gut organisierte regionale Zentren im ländlichen Raum sozial, kulturell und verkehrstechnisch kaum stärken. Um Möglichkeiten auszuloten und Unmöglichkeiten in Möglichkeiten zu verwandeln, ist der „Blick über den Tellerrand“ unabdingbar. In Rheinland-Pfalz ist das erschwert, weil sich fünf Ministerien mit dem Bauen beschäftigen. Das begonnene Miteinander des „Dialogs Baukultur“ muss deshalb systematisch weiter ausgebaut werden. Sinnvoll wäre eine Bündelung der Zuständigkeiten, ein eigenes Bauministerium eine denkbare und dankbare Möglichkeit.
Die Kammer bietet Gesprächsebenen und Gesprächskultur. Die Stiftung Baukultur mit dem Zentrum Baukultur in Mainz ist solch ein Ort. Zusammen mit dem Finanz- und Bauministerium sowie anderen haben wir Möglichkeiten beschrieben und ausgelotet. Die „Impulse für den Wohnungsbau“ ebenso wie der Wettbewerb „Mehr MITTE bitte“ zeigen erste Erfolge. Ministerreisen sorgen für Einblicke in Möglichkeiten und bieten Anstöße. Das „Bündnis für bezahlbares Wohnen“ zeigt einen dialogbereiten Weg anfangs vermuteter Unmöglichkeit. Wir haben die im März zu wählenden Politiker am 17. Februar nach ihrem Möglichkeitssinn gefragt. Wie gehen sie mit dem Künftigen um, welche Konzepte haben sie, und wie wollen sie unseren Berufsstand darin einbinden? Eine Zusammenfassung der Veranstaltung finden Sie hier: MEHR
Archivbeitrag vom 22. Februar 2016