„Lassen sie uns handeln, bevor wir in absehbarer Zeit von den Entwicklungen überrollt werden“, forderte Kammerpräsident Stefan Musil auf dem rheinland-pfälzischen Architektentag am 19. August 2011 in Koblenz vor rund 250 Teilnehmern. Der Kongress versuchte Lösungsansätze für die drängenden städtebaulichen Probleme aufzuzeigen, die aus dem Bevölkerungswachstum in den Städten und dem gleichzeitigen Bevölkerungsschwund in dörflichen Regionen resultieren. Um diese Veränderungen gesellschaftsverträglich zu gestalten, müssten in Rheinland-Pfalz zukunftsgerechte, kreative Lösungen und Umbauprozesse im Rahmen einer Strukturförderung initiiert werden, so Musil. Koblenz habe mit der BUGA bewiesen, welche Bündelungseffekte und Entwicklungssprünge durch punktuelle Interventionen in einem klar definierten Aktionsrahmen möglich seien. Musil stellte die Frage, ob eine IBA Rheinland-Pfalz hierfür das richtige Instrument sein könne.
Finanz- und Bauminister Dr. Carsten Kühl wies in seinem Beitrag auf die Ausschreitungen in Großbritannien hin. Mit Blick auf diese werde aktuell wieder deutlich, dass die Städte-bauförderung als Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen wesentlich dazu beigetragen habe, dass es in Deutschland baulich und sozial vernachlässigte Stadtquartiere in der Form nicht gebe. Damit dies auch so bleibe, müssten „die Städte und Gemeinden sich darauf verlassen können, dass bei allen Spardiskussionen und -notwendigkeiten, der politische Auftrag, unser Land zu gestalten, nicht aus den Augen verloren werde.
Der 9. Architektentag Rheinland-Pfalz war in vier Themenblöcke gegliedert. Zunächst ging es unter dem Motto „Mehr Schönheit: Baukultur entwickeln und bewahren“ darum, wie Baukultur, als weicher Standortfaktor, zur positiven Entwicklung von Städten, Dörfern und ganzen Regionen beitragen kann. Professor Dr. Joachim Hofmann-Göttig, Oberbürgermeister von Koblenz, berichtete von den positiven Aspekten, die die städtebaulichen Maßnahmen im Rahmen der BUGA schon jetzt für die Stadt gebracht haben: Die Koblenzer Bürger seien stolz auf ihre Stadt und über die Hälfte der BUGA-Besucher wollten die Stadt später erneut besuchen. Nach der Rolle von Events befragt, übte der Autor Dr. Burkhard Spinnen entschieden Kritik an Stadtfesten und ihrer Fixierung auf ökonomische Aspekte. Es werde nur noch gefragt, ob sich etwas rechne. Eben dies spiegelten die Städte dann auch wieder. Er spitzte die Diskussion mit den Fragen zu: Ab welcher Entfernung zum nächsten Theater jemand als „von der Versorgung abgeschnitten“ gelte? Und ob „demografischer Wandel“ ein Synonym für „Aussterben“ sei? Regina Sonnabend von der Stiftung Bauhaus Dessau berichtete über die IBA 2010 in Sachsen Anhalt, die Lösungen für die signifikante Bevölkerungsreduzierung in Ostdeutschland suchte. Eine IBA bewusst ohne Leuchtturmprojekte und fern der Metropolen, dafür mit 19 Klein- und Mittelstädten, die exemplarisch jeweils eigene, sehr unterschiedliche Strategien erarbeiteten. Die Ressourcen, Potenziale und Stärken jeder Stadt standen im Fokus, diese zu erkennen und zu betonen, war das Ziel.
Im zweiten Themenblock ging es um „Mehr Dimensionen: Entwicklungsmotoren der Stadt“. An Veränderungen in der Dresdner Innenstadt und Stadtneuplanungen in China, die sich an europäischen Vorbildern orientieren, zeigte Professor Dr. Hans-Georg Lippert von der Technischen Universität Dresden auf, dass sich zeitgemäße Architektur und eine neue Formensprache durchaus in Städte, auch in alte Stadtkerne integrieren lassen, wenn nur der Habitus beachtet wird. Dr. Thomas Jung, Oberbürgermeister von Fürth, beschrieb den wechselvollen Werdegang bei der innerstädtischen Ansiedlung eines Einkaufszentrums. Nach Bürgerprotesten gegen erste Vorhaben, war die Stadt selber aktiv geworden, erstellte einen Anforderungskatalog und initiierte ein Dialogverfahren mit mehreren Investoren. Was zu einer stadtverträglichen Lösung eines „Geschäftshaus-Modells“ mit Ladeneingängen von der Straße aus und relativ kleiner Gesamtgröße führte. Bemerkenswert ist zudem, dass keine neuen Parkplätze geschaffen werden. „Die Bedeutung des Individualverkehrs werde im Zuge der Renaissance der Stadt abnehmen“, zeigte sich Jung überzeugt. Die in letzter Zeit oft zitierte Bedeutung von Kreativen für die Stadtentwicklung beleuchtete Professor Kai Vöckler von der HfG Offenbach. Entscheidend für den Zuzug dieser Berufsgruppen seien entwicklungsoffene Bereiche sowie eine hohe Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft der Verwaltung.
Nach der Mittagspause ging es mit „Mehr Kommunikation: Zwischen Protest und Beteiligung“ weiter. Professorin Dr. Wiebke Möhring von der FH Hannover führte aus, dass durch die digitalen Entwicklungen kein „Tod der Cities“ zu befürchten sei. Gebaute Umwelt und öffentliche Plätze würden nicht an Bedeutung für die Kommunikation und für die Identifikation mit der Region verlieren. Um eine zugespitzte Situation wie bei Stuttgart 21 zu vermeiden, sei bei städtebaulichen Projekten eine frühzeitige Information und Anhörung, sowie ein kooperatives Handeln entscheidend, berichtete Dr.-Ing. Christine Grüger aus ihrer Berufspraxis als Moderatorin in Planungsprozessen. Ein generelles Problem dabei sei, dass mit dem Fortschreiten der Planung, die Möglichkeit Einfluss zu nehmen abnehme, während gleichzeitig das Interesse und Engagement der Bevölkerung zunehme. Was passiert, wenn man über den Tellerrand oder sehr genau auf diesen schaut, zeigte Landschaftsarchitekt und Umweltingenieur Dirk Melzer. Im Rahmen der „plan 10“ in Köln hatte er die landwirtschaftliche Nutzung urbaner Freiflächen angeregt. Architekt Professor Christoph Mäckler aus Frankfurt skizzierte anschließend den Vorgang der umstrittenen Neubebauung der Frankfurter Altstadt auf dem Areal des ehemaligen Technischen Rathauses.
Im vierten Themenblock „Mehr Visionen: Heute baut morgen“ stellte Dr. Armand Dütz die Forschungsinitiative EnEff:Stadt sowie die Voraussetzungen für die Aufnahme als Modellprojekt vor (www.eneff-stadt.info). Bo Christiansen von Guiding Architects aus Kopenhagen lenkte den Blick über die Grenzen Deutschland hinaus und stellte die prosperierende Øresund-Region vor, die mit der Eröffnung der Øresund-Brücke länderübergreifend entstanden ist. Am Ende des Vortragsprogramms ging Professor Kunibert Wachten von der RWTH Aachen der Frage nach, ob eine IBA in Rheinland-Pfalz sinnvoll sei, um Lösungen gegen die Bevölkerungsentleerung der dörflichen Regionen zu finden. Trotz seiner Skepsis gegenüber der derzeitigen Inflation Internationaler Bauausstellungen, sah er Chancen für eine solche, wenn der politische Wille und grundlegende Voraussetzungen vorhanden seien. Stuttgart 21 aber auch der Architektentag hätten gezeigt, dass es sich lohne, für Stadtentwicklung zu streiten, resümierte Hauptgeschäftsführer Dr. Michael Coridaß in seinem Schlusswort. Architekten komme hierbei eine Schlüsselposition zu, nicht nur beim Bauen, sondern auch bei der Sensibilisierung der Bürger. Er dankte den Referenten für ihre Anregungen sowie Reinhard Hübsch für seine Moderation.
Anschließend ging es, begleitet durch die Band „Klangewitter“ zum „Architekturbaukasten“ auf dem BUGA-Gelände in der Festung Ehrenbreitstein, wo es neben Essen und Getränken auch noch zwei Führungen angeboten wurden: Die Leiterin der Ausstellungskonzeption der BUGA, Ulrike Kirchner, stellte ihr Konzept vor und Thomas Metz, Direktor der Generealdirektion Kulturelles Erbe, präsentierte eindrucksvoll die Sanierungsmaßnahmen und Grabungen an der Festung.
Weitere Informationen:
Architektenkammer Rheinland-Pfalz, Annette Müller
Postfach 1150, 55001 Mainz,
Telefon 06131/99 60 22,
Telefax 06131/99 60 62
E-Mail: mueller@akrp.de
Archivbeitrag vom 22. August 2011