Mit dem Wort von der „Stapelkrise“ setzte Prof. Dr. Markus Gabriel, Philosoph und Autor aus Bonn, geboren im nördlichen Rheinland-Pfalz, den Grundton der kleinen Gesprächsrunde, die am 9. Dezember 2020 den 70sten Gründungstag der Architektenkammer Rheinland-Pfalz feierte. Der – hätten die Sessel nicht so betont auf Abstand gestanden – geradezu intime Rahmen des von Patricia Küll moderierten Dreiergespräches dachte über die Zukunft nach – die Zukunft des Berufsstandes insgesamt, die der Kammer und die des Planens und Bauens. Trotz aller Corona bedingten Widrigkeiten in der Veranstaltungsplanung ging es also, ganz wie noch in Vorcoronazeiten geplant, um den Blick nach vorn, der Gerold Reker im Jubiläumsjahr so viel wichtiger war als der zurück.
26. Januar 2021
Mit 70 durch die Stapelkrise
Die am wenigsten unsichere Zukunft ist die, die wir selbst gestalten.
Was Gabriel unter „Stapelkrise“ verstand, machte er schnell klar: Ein allseits erlebtes Konglomerat vernetzter und verwobener Einzelkrisen. Die zermürbende pandemische Situation und die darüber allzu oft in den Hintergrund tretende, aber viel größere Klimakrise resultierten letztlich aus der Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Sie belasteten einen innergesellschaftlichen und internationalen Zusammenhalt, der ohnehin schon die Stresstests von Fake News oder Verschwörungserzählungen als Krise der Wahrheit zu bestehen hätten und lösten damit eine Krise liberaler Demokratien aus, so Gabriel. Um sich dem allen zu stellen, forderte er eine neue Aufklärung, eine bewusste Zuwendung zu fakten- und evidenzbasierten, bürgerschaftlichen Diskursen.
Und das Bauen? Mindestens zur Klimakrise trägt der Bausektor weltweit gehörig bei: Flächenverbrauch, die Wahl von Baustoffen und Konstruktionsweisen sind die Stichworte. Alleine acht Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes, so schätzt man, entstehen durch die Produktion von Zement. Gabriel rief zur klugen Nutzung des Vorhandenen auf, um die enthaltene graue Energie zu sichern. Zu den technischen, treten für ihn die sozialen Fragen der Nachhaltigkeit, beispielsweise die vom qualitätsvollen, den zunehmend heißen Sommern angepassten Wohnumfeld und gemeinschaftlich nutzbaren Freiräumen in der Stadt. Architekten aller Fachrichtungen, aber auch ihre Bauherren und insbesondere die politisch Verantwortlichen rief er dazu auf, der Klimakrise durch Langlebigkeit und Schönheit des Bauens entschiedener entgegen zu wirken.
Die Nachhaltigkeit der alten Griechen: Nichts bauen, was nicht für immer hält.
Dem konnte sich Finanz- und Bauministerin Doris Ahnen vorbehaltlos anschließen. Zwar sah sie Rheinland-Pfalz auf dem grundsätzlich richtigen Weg, was die Förderung nachhaltiger Baustoffe, die Verbesserung von Wohnumfeld und Freiflächen in den Städten bei gleichzeitiger Innenentwicklung und die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum anlangt, doch folgte sie auch Gabriels Forderung, nach stärkerer Nutzung des Gebäudebestandes. Die Schönheit von Altstädten und intakten Dörfern zu bewahren und in die Zukunft zu entwickeln, sei dabei die leichtere Seite der Lösung. Ausdrücklich erwähnte sie die weniger geliebten oder nicht als schön empfundenen Altbauten. Auch mit diesem Erbe müsste man verantwortungsvoller umgehen, also weniger Abbrechen als Weiternutzen, weniger Neubauen als Anpassen an geänderte Bedürfnisse und mehr Sanierung. Für das, was neu entstehe, gehe es allerdings um die in der jeweiligen Zeit beste Lösung. Dazu brauche es die Expertise der Architektenschaft.
Wir müssen auch gut mit der Substanz umgehen.
Investition in hohe Qualität, rechtzeitige Pflege und Unterhalt – solchen Forderungen konnte sich Kammerpräsident Gerold Reker leicht anschließen. Er hatte in seiner Begrüßung die Herausforderungen der Zukunft in den Mittelpunkt gestellt. Diese zu antizipieren und Lösungen für die kommenden Aufgaben
zu finden, sei letztlich Entwerfen und falle somit in die Kernkompetenz der Architektenschaft. Doch nicht nur seine Kolleginnen und Kollegen nahm er hierfür in Verantwortung.
„Ganzheitlicher Planungsansatz heißt für uns vor, in und nach unserem Jubiläumsjahr das Zusammendenken von Innenraum, Gebäude, Quartier, Stadtraum, ländlichem Raum, Region und Naturraum bis hin zu Infrastruktur- und Mobilitätskonzepten. Das alles können wir allerdings nicht alleine. Die Voraussetzungen hierfür werden im politischen Raum, bei den Kommunen, durch das Land, in der Bundesgesetzgebung und bei der EU gelegt – und natürlich bei den Bauherren. Deshalb ist es die Aufgabe der Kammer, die richtigen Weichenstellungen bei den Einzelprojekten wie im Gesetzgebungsprozess einzufordern.“
Die nächste Gelegenheit hierfür wird es anlässlich der Landtagswahl Mitte März geben.