25. September 2020
3. Mainzer Architekturquartett
Kammergruppensprecherin Ina Seddig freute sich über die rund 100 Besucher in lockerer Atmosphäre im 'Alten Postlager' und begrüßte überregionale Gäste wie auch Christoph Hand, Ortsvorsteher der Mainzer Neustadt. Ein Dank ging an die Entwurfsverfasser der vier zu diskutierenden Häuser des Zollhafens, für die Möglichkeit der Besichtigung, denn die Runde war den Tag über im Zollhafen unterwegs gewesen, um sich mit den Häusern und dem Quartier vertraut zu machen.
„Ein intensiver und schöner Tag ist es schon gewesen“, bemerkte Andrea Wandel. Kein Wunder, die Runde hatte sich mit den vier Gebäuden viel vorgenommen, auch weil sie stellvertretend für das Quartier besprochen wurden.
Helge Hußmann, Teammitglied der Kammergruppe, übernahm die Vorstellung der Projekte.
Los ging es mit den benachbarten Häusern 'Hafenliebe' von Römer Kögeler Architekten aus Köln (Landschaftsarchitekten KRAFT.RAUM) und 'Riverside Mainz' von der Planungsgruppe Prof. Focht+Partner aus Saarbrücken. Beide großen Mietwohn- und Geschäftshäuser entwickeln sich als 6-geschossige Blockrandbebauung entlang der Rheinallee. Sie lassen ein Tor zum Quartier frei, mit Blick zur Marina im großen zentralen Hafenbecken. In den Erdgeschosszonen sind großflächige Supermärkte eingezogen, deren Flachdächer begrünte Innenhöfe um die rückliegenden Punkthäuser und die Riegel bilden.
Göschel startete die Diskussion mit harten Worten: „…ich habe mir das so vorgestellt, …so kann es sein, …aber es ist dennoch enttäuschend.“ Man könne das Gebaute als „spätes Bauhaus“ bezeichnen. Alles, was gebaut werde, sei die Fortsetzung der klassischen Moderne. Er wunderte sich, dass es nichts Anderes gebe, „Architektur, die hier steht, könnte von Kopenhagen bis Barcelona stehen“, so Göschel. Toll sei aber, dass so viele Wohnungen bewohnt seien und nicht reine Spekulationsobjekte wie in vielen Metropolen weltweit.
Architektur, die hier steht, könnte von Kopenhagen bis Barcelona stehen.
Auch Wandel zeigte sich zuerst einmal enttäuscht, was nach dem Architekten-Wettbewerb in die Realisierung komme und meinte damit das ‚Riverside‘, bei dem der 3. Preis in die Umsetzung kam. ‚Hafenliebe‘, der 1. Preis in seinem Wettbewerb, „ist so viel besser“, vor allem wenn man auf die Datails schaue. Der Klinker, wenn auch als Riemchen verbaut, sei lebendig eingesetzt, und mache so das Volumen erträglicher. Die begrünten Innenhöfe funktionierten besser, im Hinblick auf ihre Aufenthaltsqualität, aber auch durch die höher eingebrachte Erdschicht auf den Flachdächern, so dass Trockenheit von den Pflanzen besser kompensiert werden könne. Friedrich Roeingh war gar „schockiert über die unterschiedliche Qualität der beiden Häuser“. Dass nicht automatisch der erste Preis im Wettbewerb gebaut werde, „das habe ich mir naiv etwas verbindlicher vorgestellt“, so der Journalist. Gesprächsstoff boten auch die geforderten zehn Prozent Sozialwohnungen, die im Riegel zur vierspurigen Rheinallee eingeplant wurden. Albrecht Göschel interpretierte scharf, die Sozialwohnungen seien als Schallschutz für die rückwärtigen Wohnungen funktionalisiert worden.
Wäre schön, wenn hier ein Späti wäre.
Weiter ging es mit dem deutlich kleineren 'Rheinkai 500', benannt nach dem Standort an Rheinkilometer 500, der erste Neubau des Quartiers auf 3.000 Quadratmetern Grundfläche. Wandel bezeichnete es als „expressives Gebäude mit starker Ausdruckskraft“ und betonte, die exponierte Stelle mit nur 4,50 Metern Abstand zum Wasser, brauche dies auch. Dominiert wird das skulpturale Gebäude von seinen auskragenden Balkonen, die wie die Fassade konsequent in dunklem Klinker ausgeführt wurden. Damit bezieht sich die Gestaltung auf die historische Bebauung des Zollhafens, wie das schräg gegenüberliegende Weinlager. Aber auch bei diesem Projekt zeigte sich das gleiche Dilemma wie zuvor. Die vom Gewinnerbüro Lorenzen Mayer Architekten aus Berlin loftartig angelegten Grundrisse, mit viel Raum für die individuelle Gestaltung der Wohn- und Gewerbeflächen, wurden vom Entwickler nicht umgesetzt.
Saskia Hebert kritisiert auch die Erdgeschosszone. „Wäre schön, wenn hier ein ‚Späti‘ wäre,“ meinte die Berlinerin augenzwinkernd, „einfach etwas, das man benutzen kann, Erdgeschosse sollten belebt sein.“ Die Fortführung der 'Kunstspange', von der Kunsthalle ausgehend, mit Ateliers und Galerie im 'Rheinkai' scheint, zumindest von außen gesehen, nicht aufgegangen zu sein
Hier sehe ich den Anspruch, den wir an Baukultur formulieren am stärksten umgesetzt
Final ging es zu den sechs schiffsartigen Wohnhäusern der Südmole von Langhof, Studio für Architektur-Design aus Berlin. „Bug“ und „Heck“ sind auf das Wasser gerichtet, so dass die entstehenden Freiräume Durchblicke in viele Richtungen – vor allem auf das Wasser – zulassen. Die einzelnen Baukörper schaffen auch hier begrünte Innenhöfe (Ute Wittich Gartenarchitektur, Frankfurt/Main), von denen besonders die Wohnungen in den Erdgeschossen profitieren. „Wenn man privat im Erdgeschoss wohnen möchten, dann so“ fasste es Saskia Hebert zusammen. „Hier sehe ich den Anspruch, den wir an Baukultur formulieren am stärksten umgesetzt“, beurteilte Wandel. Die Runde war sich einig, hier ist Vieles gelungen. Möglicherweise ist es kein Zufall, dass die Südmole, das einzig diskutierte Projekt ist, bei dem das Gewinnerbüro des Wettbewerbs mit allen Leitungsphasen beauftragt wurde.
Roeingh überraschte die Experten dann mit der Information, dass es mit den Bewohnern der Südmole die größten Probleme gebe. Die direkt vorgelagerte Rheinpromenade weitet sich an dieser Stelle mit großzügigen Sitzstufen zum Rheinbett und die Qualitiät der öffentlichen Freifläche ziehe Menschen an. Der Konflikt sei vorprogrammiert. Dass alle Uferbereich im Quartier öffentlich zugänglich sind und zum Aufenthalt am Wasser einladen wurde vom Podium am stärksten gelobt, „das ist klasse, das ist hervorragend“ sagte Göschel. Den Ärger der Bewohner interpretierte er so: „Wir wollen fast immer das Beste aus beiden Welten, das geht nicht,“ und meinte damit die Angebote der Stadt einerseits und die Ruhe der Vorstadt andererseits. Auch Roeingh beklagte, dass klassische Ufernutzungen, wie die letztlich wegen der Anwohner gescheiterten Anlegestelle für Binnenschifffahrt, am Zollhafen überhaupt nicht mehr möglich seien. Dieser Konflikt sei typisch für Quartiere, „die unter maximalem Profit vermarktet werden“, beurteilte Göschel.
Wohnraum ist beides, ein Ort, wo Menschen leben (…), aber auch Ware.
Hebert fasste es so zusammen: „Wohnraum ist beides, ein Ort, wo Menschen leben (…), aber auch Ware.“ So formulierte das Podium am Ende der lebhaften Diskussion einen Wunsch für die letzten Baufelder im Süden des Quartiers: Raum für Experimente. Die Grundstücke sollten an den vergeben werden, der das beste Nutzungskonzept habe. Die Gesellschaft brauche Räume, für die die Regeln neu definiert werden müssten, so Hebert.
Thomas Dang, Vorstands- und Teammitglied bei der Architektenkammer Rheinland-Pfalz dankte in seinem Grußwort dafür, im 'Alten Postlager' mit der Veranstaltung zu Gast gewesen zu sein, und für die Unterstützung des Mainzer unterhauses und des Deutschen Werkbundes Rheinland-Pfalz.
Hintergrund
Der ehemalige Zoll- und Containerhafen ist das größte innerstädtische Entwicklungsgebiet in Mainz auf einer Fläche von insgesamt 30 Hektar, in dessen Zentrum das acht Hektar große, historische Hafenbecken liegt. Die Zollhafen Mainz GmbH & Co. KG, ein Unternehmen der CA Immo Deutschland GmbH und der Mainzer Stadtwerke AG, entwickelt seit 2010 das Areal mit insgesamt 28 Baufeldern. Bis 2025 soll der neue Zollhafen fertiggestellt sein. Etwa 1.400 Wohnungen für rund 2.500 Menschen sollen bis dahin entstanden sein. Büroflächen, Einkaufsmöglichkeiten, Kultureinrichtungen, Gastronomie, Marina und öffentliche Freiflächen sind weitere Bausteine des Stadtquartiers. Die dritte Auflage der Mainzer Diskussionsrunde befasst sich mit vier Wohn- und Geschäftshäusern stellvertretend für das neue Stadtquartier.