Förderanträge, die Kommunen für ihre öffentlichen Bauaufgaben stellen, erfordern regelmäßig eine Kosten-Vergleichsrechnung. Erreichen die Sanierungskosten mindestens 80 Prozent der eines Neubaus, gilt die Bestandssanierung als unwirtschaftlich. Diese Einschätzung hat sich über die Beurteilung von Förderprojekten hinaus als Grundwahrheit eingebürgert. Zudem wird meistens der Neubau mit verheißungsvollen Attributen wie Aktualität und Makellosigkeit assoziiert, die die Abkehr vom Bestand zusätzlich beflügeln. Oftmals fällt das Urteil vorschnell. Der Begriff „marode“ ist wohlfeil geworden, um Gebäuden jegliche Zukunftsfähigkeit abzusprechen. Damit verknüpft wird die Frage, weshalb ein Bauherr Geld in den Bestand investieren soll, wenn er für „wenig mehr“ etwas Neues bekommen kann? Doch „neu“ ist kein Wert an sich. In 40 Jahren ist auch das Neue wieder alt geworden und wir stehen vor der gleichen Frage. So funktioniert immerwährendes Wirtschaftswachstum – aber funktioniert so auch zukunftsfähiges Ressourcenmanagement?
Die Tatsache, dass ein Gebäude kein homogenes Ganzes ist, muss stärker in den Fokus rücken! Unterschiedliche Bauteile haben unterschiedliche Lebenserwartungen. Dass haustechnische Anlagen, die dem Maschinenbau und der Elektrotechnik entstammen, kürzeren Zyklen unterworfen sind, als Beton und Bauteile aus mineralischen Stoffen, ist offensichtlich. Auch Boden- und Wandbeläge und andere Ausbauteile nutzen sich ab und können ausgetauscht werden, ohne deshalb für das ganze Gebäude nach der Abwrackprämie zu rufen.
Das Bundesbauministerium attestiert den elektrischen Anlagen im Mittel 25 Jahre, den Wärmeerzeugungs- und lufttechnischen Anlagen nur 15-20 Jahre im Mittel. Die Nutzungsdauer des Großteils der Ausbauteile liegt bei maximal 40-50 Jahren. Demgegenüber stehen die Gründungsbauteile, die tragenden Wände und die Geschossdecken, die mit 100 bis maximal 150 Jahren bewertet werden, also eine dreimal längere Lebensdauer haben. Die Rohbaukosten machen nach BKI circa 20 Prozent der reinen Baukosten bei dem Großteil der Bauaufgaben wie Schulen, Kitas, Gemeindezentren und Bürogebäude aus. Das ist genau der Teil, der als „wertloser Rest“ der 80 Prozent-Rechnung verbleibt, wenn alle übrigen Bauteile zur Erneuerung anstehen! Liegt es nicht viel näher, den langlebigen Rohbau zu erhalten, zu aktualisieren, energetisch aufzurüsten und an neue Anforderungen anzupassen? Wenn der Kaffee kalt ist, wirft man ja auch nicht die Tasse weg!
31. August 2021
Noch gut!
Wenn der Kaffe kalt ist, wirft man ja auch die Tasse nicht weg.
Im Rohbau steckt rund ein Drittel der im Gebäude gebundenen grauen Energie – Energie für Demontage und Abtransport im Abrissfall nicht mitgerechnet! Da hilft auch das derzeit vielbeschworene Recycling von mineralischen Baustoffen nichts, handelt es sich doch meist um nichts anderes, als ein Schreddern von Beton und Mauerwerk zu Schotter oder Zuschlägen. Die für das Brennen der Materialien eingesetzten Energien bleiben verloren, das Material wird weit unter seinem Wert verramscht.
Wenn man also nach der Lebensdauer des Ausbaus von 50 Jahren den Rohbau mit abbricht, so hat man innerhalb von 150 Jahren statt einem gleich drei Rohbauten errichtet und damit zwei Drittel der grauen Energie bezogen auf das gesamte Bauwerk verschwendet. Dies sollte man bedenken, wenn man über Kindergärten, Schulen und Gemeindezentren der 1970er und 80er Jahre derzeit den Stab bricht.
Warum also nicht das Potential und die Lebensdauer des Rohbaus ausschöpfen? Sanieren, Umbauen, Weiterbauen sind die planerischen Aufgaben der Zukunft. Das heißt nicht, dass ein Eins-zu-eins-Austausch erfolgen soll und die Nutzungsqualität beim Status Quo verbleibt. Gerade, wenn sich Nutzeranforderungen, Lebens- und Wohnbedürfnisse aber auch Vorgaben aus Brandschutz, Barrierefreiheit und Energieeffizienz geändert haben, ist ein kreativer Umgang mit dem Bestand gefordert, der ebenso spannend sein kann wie eine Neubauaufgabe.