Nachhaltiges Bauen kann sich nicht nur auf den Neubau von Passivhäusern und auf die Dämmung von Bestandsbauten reduzieren. So lautet das Credo der Architektenkammer, wenn sie sich ganzheitlich über die Zukunft der Baustoffe, über Massenflüsse und Stoff- umsätze im Wirtschaftskreislauf Gedanken macht. Um den Verbrauch von Energie und Ressourcen zu minimieren, ist die heutige Form des Bauens neu zu überdenken und zu diskutieren. Zu diesem Thema wird am 4. Dezember ein Symposium im Kulturzentrum Mainz (KUZ) stattfinden. Fachleute aus Architektur und Ingenieurwesen werden Impulsvorträge halten und in anschließenden Workshops zusammen mit den Teilnehmern die Themen Recycling, Upcycling und Lebenszykluskosten erörtern.
Als Carl von Carlowitz, Oberberghauptmann des Königreichs Sachsen, 1713 erstmals den Begriff der Nachhaltigkeit verwendete, meinte er den seinerzeitigen Raubbau an Baumholz. Die Energiegewinnung ist zwar nur wenig später von der Steinkohle abgelöst worden, hat dann aber zu weiträumig-industriellem Bergbau mit erheblichen Landschaftsbeeinträchtigungen geführt. Allein die hydrogeologischen Auswirkungen sind im engeren Sinne eine „nachhaltige“ Zukunftsverpflichtung für kommende Generationen. Vor diesem Hintergrund sind das Veranstaltungsthema und die Nachhaltigkeit nicht nur etwas für Architekten und Ingenieure, sondern es nimmt gleichermaßen Landschaftsarchitekten, Landschafts- und Regionalplaner mit in die Pflicht.
Der bundesweite Baustoffbedarf beträgt jährlich rund 6,6 Tonnen pro Person. Inwieweit dieser durch Sekundärrohstoffe substituiert werden kann, ist laut Mitteilung des Bundesverbandes Baustoffe - Steine und Erden e.V. vom Dezember 2012 nur schwer zu kalkulieren. 2010 entsprachen die im Baugewerbe wiederverwendeten Sekundärbaustoffe nur etwa 10,8 Prozent des gesamten Bedarfs an Gesteinskörnung. Über 90 Prozent des aufbereiteten Abbruchmaterials wird im Tiefbau als Drainage, Trockenschicht oder Füllmaterial verwendet. Der Anteil an reinem Betonabbruch wird aufgrund des Trends hin zur Betonbauweise mittelfristig zunehmen, dennoch werden die Abbruchmassen auch in Zukunft nicht ausreichen, um ein effektives Substitutionspotenzial zu entwickeln. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) geht davon aus, dass trotz hoher Verwertungsquote der Sekundärrohstoffe ein Rückgang des Substitutionspotenzials zu erwarten ist (Analyse Kompakt 3/2013). Des Weiteren müssen Transportkosten berücksichtigt werden, weil Abbruchmassen vor allem in den Leerstands-Regionen anfallen werden. Nach Einschätzung des BBSR werden sekundäre Rohstoffe vorrangig da eine Rolle spielen, wo das Material vor Ort aufbereitet und wieder eingebaut werden kann.
Wie auch immer, die Gewinnung und Aufbereitung von Primärrohstoffen wird nicht überflüssig werden, allerdings bedürfen auch die Aufbereitungsanlagen einer geeigneten Standortwahl und Logistik. Im Hinblick auf den großen Einfluss der Transportkosten auf die Wirtschaftlichkeit, müssen es Standorte sein, die Marktnähe haben und zugleich den umweltrelevanten Sicherheitsstandards entsprechen können. Dabei spielt das regional- und landschaftsplanerische Instrumentarium eine erhebliche, eine entscheidende Rolle. Schallausbreitung und Staubniederschlag weisen den Aufbereitungsanlagen einen Platz weit ab besiedelter Bereiche zu, nicht selten in der Nähe schutzbedürftiger Biotope oder gar europäischer Schutzgebiete. Staubniederschlag auf benachbarten Bäumen und Sträuchern ist das Eine, weiträumige Feinstaubbelastung hingegen weitet die problematischen Zonen schon erheblich. Da müssen noch nicht einmal geschützte Fledermäuse gestört werden, aber der Schallpegel mag möglicherweise den Reviergesang der örtlichen Vogelwelt nachhaltig beeinträchtigen. Grundwasserbeeinträchtigungen infolge erhöhter Kohlenstoffkonzentrationen und Sulfateinträge sind ernst zu nehmende Herausforderungen, möglicherweise noch in Verbindung mit oberflächigen Sedimentausträgen von Halden und Zwischenlagern.
Über die Erholungseignung der freien Landschaften im Umfeld der Recycling-Anlagen mag man streiten, dem gewachsenen Landschaftsbild darf qua lege sogar eine neue Deutung und Wertschätzung zugesprochen werden. Aber die umfängliche immissionsschutzrechtliche Analyse muss integrierter Bestandteil der Kreislaufwirtschaft sein. Die Debatte darf sich nicht nur auf die Substitution „statt Müll“ beschränken. Sondern hierzu sind Workshops geboten, in denen die scharfe Grenze von Zwischenlagerung und Lagerung, von Recycling und Beseitigung in den Fokus gerückt wird.
Recycling, Upcycling und Materialzyklus sind nicht ohne die umweltrelevanten Begleiterscheinungen und Vorsorgeplanungen auf landes- und regionalplanerischer Ebene, mit Fachplanern des Natur- und Landschaftsschutzes, der Wasser-, Boden- und Luftgutachter denkbar. Eine Architekturdebatte „statt Müll“ geht nicht ohne die interdisziplinäre Integration seit langem bewährter Fachdisziplinen der Raumordnung und des Immissionsschutzes.
Archivbeitrag vom 13. November 2014