Herr Filusch, Sie arbeiten und leben seit eineinhalb Jahren in Amsterdam. Warum sind Sie nach Holland gegangen?
Es gab mehrere Gründe: In Deutschland konnte ich zwar als Bauleiter arbeiten, aber das ist ein Knochenjob und man hat keine Chance sich nach oben zu arbeiten. Außerdem wollte ich einfach mal sehen, was in anderen Ländern so passiert - besonders die holländische Architektur ist sehr innovativ, es wird sehr viel ausprobiert und experimenteller an die Entwürfe herangegangen.
Und wie haben Sie Ihren Job in Amsterdam gefunden?
Ich kannte hier bereits ein paar Leute. Und dann habe ich auf den Internetseiten geschaut, beispielsweise „architectennet.nl“. Eine andere gute Bewerbungsseite ist „pagina.nl“, wobei die nur auf Holländisch ist. Da findet man Infos, wie man sich in Holland bewirbt, Beispiele für Bewerbungsschreiben und viele Links zu Arbeitszeiten und so weiter.
Muss man Holländisch sprechen, wenn man in Holland arbeiten will, oder reicht Englisch?
Das geht alles auf Englisch. Jedoch, wenn es um technische Dinge geht, wenn man an Besprechungen teilnehmen will oder irgendwie weiter kommen will, dann muss man holländisch können. In den großen Büros, die international arbeiten, da läuft jedoch auch das auf Englisch.
War es schwierig eine Arbeitsstelle als Architekt zu bekommen?
Ich habe eine Anzahl positiver Antworten bekommen und bin dann in ein Büro gegangen, das ein Bekannter von mir kannte. Wobei ich damals noch kaum Englisch sprach und auch kein Holländisch. Also habe ich mit dem Büro einen Deal gemacht. Ich habe denen gesagt, ich hätte ja schon Ahnung vom Bauen, nur eben keine Ahnung vom Sprechen. Ich habe ihnen angeboten, dass ich vier Monate auf Praktikantenbasis, für 400 Euro pro Monat arbeiten würde und danach könnten wir uns unterhalten, wie viel ich wert sei. Das fanden sie gut.
Wofür sind Sie im Büro zuständig?
Ich bin ja inzwischen schon in meinem zweiten Büro hier in Amsterdam. Da mache ich die technische Ausführung, das heißt, Ausführungszeichnungen und Ausschreibung.
… und die Ausschreibungen sind auf Englisch?
Nein, die sind auf Holländisch. Aber das ist kein Problem, es gibt ja alte Ausschreibungen, die man nur abändern muss. Und wenn man aus Deutschland kommt, versteht man Holländisch recht schnell
Sind Sie zufrieden in den Niederlanden?
Es gibt Vor- und Nachteile. Die Städte sind hier sehr gedrängt, man hat wenig Freiraum, es gibt wenig Natur, und alles, was danach aussieht, ist letztendlich künstlich. Mal eben in den Taunus fahren und keinen Menschen sehen, das gibt es hier nicht. Beim Wohnen muss man auch mit kleineren Maßstäben auskommen: Eine Zweizimmerwohnung kostet um die tausend Euro Miete. Verdient man dementsprechend mehr? Man verdient nicht mehr, aber es bleibt mehr über. Man zahlt nicht so viel Steuern. Ich verdiene Brutto etwa 30 Prozent weniger und Netto kommt etwa zehn Prozent mehr raus.
Und welches sind die Vorteile in den Niederlanden?
Als Vorteil würde ich sehen, dass hier sehr viel international gearbeitet wird. Man bleibt an einem Fleck, aber die ganze Welt kommt vorbei. Außerdem ist die Situation hier in Holland im Moment unglaublich gut. Auf der Internetseite „architecten.nl“ werden derzeit ungefähr dreihundert freie Stellen angeboten und dagegen stehen ungefähr einhundert Suchende. Man kann sich im Moment die Stellen aussuchen. Das hat natürlich auch den Vorteil, dass man mehr geschätzt und gefördert wird.
Haben Sie Tipps für eine Bewerbung in Holland?
Es gibt hier Firmen, die sich darauf spezialisiert haben, Arbeitsplätze für Architekten und Ingenieure zu vermitteln. Ich bin über so eine Firma auch an mein jetziges Büro gekommen. Solche Leiharbeitsfirmen nehmen einen normalerweise für ein Jahr unter Vertrag und wenn sie einen nicht in ein Büro vermitteln können, dann bezahlen sie selbst das Gehalt. Man muss dabei auch nicht jede Arbeit annehmen, die sie anbieten. Man wählt einfach aus, und dann vermittelt die Firma ein Gespräch mit dem Büro. Wobei das dann weniger ein Vorstellungsgespräch ist, sondern mehr ein nettes Kennenlernen. Dazu sollte man allerdings alles mitbringen, was man irgendwann mal gemacht hat: Alle Zeichnungen, am besten einen Riesenstapel - je mehr desto besser.
Kostet die Vermittlung etwas?
Nein, man selber zahlt nichts. Ich denke, dass die Firmen mit den Architekturbüros einen höheren Lohn aushandeln, als den, den man selber ausgezahlt bekommt. Der Vorteil für die Architekturbüros ist dabei, dass sie flexibler sind: Wenn ein angekündigter Auftrag wegbricht, dann müssen sie die Mitarbeiter nicht weiter bezahlen. Und für die Angestellten besteht der Vorteil darin, dass sie in dem Fall nicht plötzlich kein Geld mehr bekommen, sondern dann von der Leihfirma bezahlt werden.
Können Sie mir ein paar Vermittlungsagenturen nennen?
Die meisten sind über die Homepage „architectennet.nl“ zu finden, die Anzeigen dort sind meistens von diesen Firmen. Ich habe meinen Job über „puurbouwkunde.nl“ bekommen. An große Büros kommt man meistens auch nur über diese Angebote. Für die ist es einfacher: Sie müssen nicht unzählige Bewerbungen durchschauen, sondern rufen einfach eine Vermittlungsfirma an und bekommen dann die passenden Bewerber. Nach einem halben Jahr wird man dann meistens vom Architekturbüro übernommen, es gibt aber auch Leute, die seit Jahren für eine Leihfirma arbeiten.
Gab es auch bürokratische Hürden, die Sie überwinden mussten, bevor Sie in den Niederlanden arbeiten durften?
Eigentlich ist das ganz einfach. Man kommt nach Holland und das Einzige, was man braucht, ist eine Sozialversicherungsnummer und ein Bankkonto. Für die Sozialversicherungsnummer geht man zum Finanzamt. Wenn man Europäer ist, zeigt man seinen Pass, füllt ein Formular aus, und dann bekommt man die Nummer …
… und dazu braucht man einen Wohnort in Holland?
Nein, es reicht ein Wohnort in Europa. ... Mit dieser Nummer geht man dann zu seinem Arbeitgeber, der schreibt sie auf den Vertrag und damit geht man zur Bank und die eröffnet ein Konto. Die einzige Schwierigkeit ist, sich in einem Gemeinderegister einzuschreiben. Dazu braucht man einen Mietvertrag. Es ist jedoch schwierig eine Wohnung mit Mietvertrag zu bekommen, denn die Wohnungen werden meist von einem zum anderen weitergegeben. Das macht eigentlich nichts, weil das alle so machen, man kann sich nur eben bei der Gemeinde nicht einschreiben.
Und was hat das für Auswirkungen?
Eigentlich keine, aber wenn man ein Auto anmelden will, dann muss man eingeschrieben sein, und wenn man seine Steuer in Holland zahlen will, dann auch.
Wo zahlt man denn als in Holland arbeitender Deutscher seine Steuern?
Dafür gibt es vier oder fünf verschiedene Modelle, je nach Wohn- und Arbeitsort. Das sagt einem das Finanzamt.
Das hört sich soweit recht einfach an. Welche fachlichen Qualifikationen sind denn entscheidend? Warum haben Sie Ihren Arbeitsplatz bekommen?
Genau weiß ich das nicht, ich kann es nur vermuten. Was tatsächlich gerne genommen wird, ist die deutsche Ausbildung, Arbeitserfahrungen natürlich auch, und Software-Kenntnisse sind eine Grundvoraussetzung. Am meisten wird hier mit Auto-CAD gezeichnet. Es gibt auch ein paar Büros, die mit Nemetschek zeichnen, die suchen händeringend Leute. Was hier sonst sehr wichtig ist, das sind die so genannten Softskills, es muss einfach passen. Darauf legen die Holländer großen Wert.
Das heißt, das Studium an der FH in Mainz hat Sie ganz gut auf den Start in den Niederlanden vorbereitet?
Das würde ich so nicht sagen. Entscheidend waren eher die Dinge, die man nebenher gemacht hat. Bei mir im Studium waren Computerkenntnisse so gut wie gar nicht gefordert, das hat sich inzwischen wohl etwas geändert, ist aber immer noch zu wenig. Und ein bisschen technisches Englisch wäre auch gut gewesen.
Würden Sie denn wieder nach Holland gehen? Und würden Sie es auch anderen Absolventen empfehlen?
Also, teilweise ist es schon hart gewesen - richtig, richtig hart. Wenn man mit geringem finanziellen Puffer hierher kommt, auf der Arbeit so gut wie möglich sein muss, gleichzeitig Freunde gewinnen muss, und keine Bekannten hat, die einem mal helfen können - und wenn man dann auch noch die sprachliche Barriere hat, dann zerreißt es einen das ein oder andere Mal beinahe. So nach fünf, sechs Monaten sagt man schon oft: Mein Gott, was mache ich eigentlich hier? Mittlerweile würde ich aber sagen: Ich würde es sofort wieder machen!