900 Jahre nach Gründung der ersten Universität auf europäischem Boden in Bologna wurde dort 1988 die „Magna Carta Universitatum“ unterzeichnet. Die darin formulierte Bedeutung der Universitäten für das Zusammenwachsen der europäischen Nationen war Grundstein für eine länderübergreifende forschungs- und bildungspolitische Zielformulierung, welche - 1999 als „Bologna-Erklärung“ verabschiedet - in die weitere Geschichte einging. Fortan sollten Studienabschlüsse im BA/MA-System vereinheitlicht, deren Qualität gesichert, Studierenden durch die Einführung eines Punktesystems ein Wechseln der Hochschule sowie Studium im Ausland erleichtert und Ausbildungen auf anschließende Beschäftigungsfähigkeit ausgerichtet werden. Die folgende Umstrukturierung war allerdings schwierig, zumal sie mit einschneidenden Veränderungen in Lehrplänen und Prüfungsmodi, Akkreditierungen und Notifizierungen im laufenden Betrieb, Zeitverknappung und stagnierenden Personalkapazitäten einherging, und die Politik eine Umsetzung im Rahmen vorhandener Ressourcen wollte. Nur wachsende Studierendenzahlen aus den geburtenstarken Jahrgängen wurden durch Bund-Länder-Hochschulpakte ausgeglichen.
Trotz den Widrigkeiten der Umstellung ist das BA/MA-System in den rheinland-pfälzischen Hochschulen mittlerweile etabliert; lediglich die Universität Kaiserslautern bietet noch das Architekturstudium mit Diplom-Abschluss. So ist man dem Ziel innereuropäischer Vereinheitlichung der Studiengänge näher gekommen, und was Studierenden zu vermitteln ist, findet sich nicht nur in der Berufsanerkennungsrichtlinie wieder, welche die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen von Absolventen definiert, sondern auch im neuen Architektengesetz, das sich bei den Eintragungsvoraussetzungen explizit auf diese EU-Richtlinie bezieht. Dennoch gibt es keinen Grund zur Zufriedenheit! Verkürzte Studienzeiten bei steigenden Anforderungen an die Ausbildung und zunehmender Umfang der Lehrinhalte lassen kaum Spielraum für Hochschulwechsel und Auslandsstudium, und gerade bei den Architektur-Studiengängen haben sich die für eine qualitativ hochwertige Ausbildung erforderlichen Rahmenbedingungen hierzulande massiv verschlechtert.
Deshalb haben die rheinland-pfälzischen Architekturfachbereiche im gemeinsamen Hochschulbeirat mit der Architektenkammer ein Positionspapier erarbeitet und dieses vor der Wahl im Rahmen einer Podiumsveranstaltung öffentlich diskutiert. Zum Einen wurde die Besonderheit des Architekturstudiums verdeutlicht, in welchem bei zunehmender Komplexität u.a. gestalterisches, funktionales, technisches, organisatorisches, sozialrelevantes, rechtliches und wirtschaftliches Wissen, gepaart mit Sensibilität für den jeweiligen Ort und einem ausgeprägten Gespür für Gestaltung zu vermitteln ist - nur möglich in einem umfangreichen Projektstudium mit extrem hohem Betreuungsaufwand und viel Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden. Zum Anderen wurde kritisiert, dass sich Rheinland-Pfalz rückwärts bewegt, während man im angrenzenden Ausland und auch in anderen Bundesländern den Architekturstudenten mit großem Erfolg außerordentliche Studienbedingungen bietet. So sind die Curricularnormwerte (CNW) als Maß der Betreuung von Studierenden stagnierend, müssten aber aufgrund der gestiegenen Anforderungen nach oben angepasst werden, was nur teilweise geschehen ist. Ebenso ist die relative Zahl studentischer Arbeitsplätze und akademischer Mitarbeiter zurückgegangen.
Die fünf Kernforderungen der Hochschullehrer sind deshalb richtig und zu unterstützen. Erstens Anhebung des CNW auf 1 je Studiensemester, also 10 bei einem berufsqualifizierenden konsekutiven 6+4-BA/MA-Studiengang. Damit würde defizitärer Betreuung von Studenten begegnet. Zweitens Ausbau und Bereitstellung von mindestens fünf Quadratmetern Arbeitsplatz je Student, um Studierenden in der Projektarbeit die Möglichkeit zur Diskussion und zum Austausch untereinander zu geben. Das entspricht der Vorbereitung auf einen Beruf, in dem inter- und innerdisziplinärer Austausch wesentliche Basis für erfolgreiches Arbeiten ist. Drittens eine Orientierung der Professorenstellen an den in der Berufsanerkennungsrichtlinie in elf Punkten definierten Kenntnissen und Fähigkeiten, welche zu vermitteln sind; denn eine am europäischen Qualitätsstandard orientierte Ausbildung ist nicht sicherzustellen, wenn Professoren mehrere Fächer in Personalunion lehren. Viertens eine Erhöhung der Stellenzahl für akademische Mitarbeiter, um ausreichende Betreuung zu gewährleisten, und fünftens eine Zuteilung von Finanz- und Hochschulpaktmitteln an Fachbereiche gemessen am ersten Fach- und nicht am ersten Hochschulsemester. Damit würden Studienbewerber, die bereits andere Studiengänge besucht haben, bessere Berücksichtigung bei der Fachbereichsfinanzierung finden.
Solange sich Ergebnisse des Reformprozesses nur auf Papieren, in Richtlinien und Gesetzen, mehr oder minder erfolgreichen Akkreditierungen und Notifizierungen wiederfinden, während im Alltag der Hochschulen der Stress steigt, Arbeitsbedingungen sich verschlechtern und die Ausbildungsqualität auf Kosten der Studierenden sinkt, ist hierzulande - trotz manch gelungener Harmonisierung - ganz klar … das Ziel verfehlt.
Vizepräsident Ernst Wolfgang Eichler, Alzey
Archivbeitrag vom 19. Mai 2016